Kontroverses Molyneux-Interview - Kolumne: Gut gegrillt

Eine englische Spieleseite nimmt Peter Molyneux im Interview auseinander – und viele Spieler ärgern sich: So kann man mit dem Mann doch nicht umgehen! Michael Graf sagt: Nein, kann man nicht. Man muss.

»Glauben Sie, dass Sie ein krankhafter Lügner sind?« So beginnt John Walker ein Gespräch mit Peter Molyneux, das derzeit in Branchenkreisen hohe Wellen schlägt. Denn Walker, ein Autor der britischen Spieleseite Rock, Paper, Shotgun, schlägt schon mit der Einstiegsfrage einen Ton an, den er im Anschluss nicht nur halten, sondern noch verschärfen wird: Er unterbricht Molyneux, klagt ihn an, lacht ihn aus, konfrontiert ihn mit jahrealten Zitaten und wiederholt Fragen wieder und wieder und wieder, weil ihm die Antworten missfallen.

Er verwehrt diesem Branchenbaron, diesem Gentleman des Spielemachens jeglichen Respekt, jegliche Verschnaufpause. Überfordert von der Dauerattacke verliert Molyneux die Nerven, beschwert sich, Walker wolle ihn zum Ausstieg aus der Spieleindustrie drängen, und schwört, er werde nie wieder mit der Presse sprechen. Mit diesem verdienten Designer, diesem Helden unserer Jugend und nebenbei überaus sympathischen Menschen könne man doch so nicht umgehen, schallt es da aus vielen Mündern.

Ich finde: Nein, so kann man nicht mit ihm umgehen. So muss man sogar mit ihm umgehen. Denn das hilft nicht nur der Presse, sondern am Ende auch - Peter Molyneux.

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Versprochen, gebrochen

Also gut, worum geht's? Im Kern wirft Walker Molyneux gebrochene Versprechen vor. Etwa beim Kickstarter-Crowdfunding des Götterspiels Godus, für das Molyneux Ende 2012 über 710.000 Euro einsammelt -rund 102.000 Euro mehr als gefordert - und hoch und heilig verspricht, er werde das Spiel ohne Publisher entwickeln. Sechs Monate später hat Godus plötzlich doch einen Publisher - aber nur die Mobile-Version, die in den Folgemonaten offensichtlich bevorzugt entwickelt wird, während sich die Fortschritte bei der PC-Fassung hinziehen.

Molyneux ist ein verdienter Designer – muss man deswegen nett zu ihm sein? Molyneux ist ein verdienter Designer – muss man deswegen nett zu ihm sein?

Noch dazu stellt sich der Handy-Ableger als Free2Play-Titel heraus, was viele Spender überrascht. Während das fertige iOS- und Android-Godus schließlich 2014 erscheint, schwelt die PC-Fassung schon seit September 2013 im Early-Access-Fegefeuer, obwohl die Computerversion laut Molyneux doch eigentlich die wichtigste von allen sein sollte. So warten Kickstarter-Spender nun seit über zwei Jahren auf ein fertiges Spiel.

Mindestens genauso bemerkenswert ist der Fall Bryan Henderson. Im November 2012 startet Molyneux' Entwicklerstudio 22Cans ein spielbares »Experiment« namens Curiosity: What's Inside the Cube. Die Spieler des Mobile-Titels sollen gemeinsam Schicht für Schicht eines riesigen Würfels abtragen, der aus 69 Milliarden kleineren Würfeln besteht. In der Mitte verbirgt sich ein Geheimnis, das Molyneux als »in jeder Hinsicht lebensverändernd« preist.

Im Inneren des Curiosity-Würfels befand sich – nichts. Im Inneren des Curiosity-Würfels befand sich – nichts.

Vier Millionen Spieler versuchen sich am Knacken des Würfeltresors, es dauert sechs Monate, bis es schließlich einer schafft. Der Schotte Bryan Henderson findet im Zentrum - nichts. Der Würfel war leer, von Anfang an. Okay, das kann man als Parabel auf den Weg (also das Spielen selbst) deuten, der das Ziel ist. Molyneux verspricht Henderson, ihn als »Gott aller Götter« in Godus zu verewigen und ihn sogar an den Einnahmen von Godus zu beteiligen. Doch der Gewinner wartet bis heute auf seine Belohnung. Molyneux, so scheint es, hat ihn einfach sitzengelassen.

All das kann Molyneux wortreich erklären. Die PC-Version verzögere sich, weil die Kämpfe haken, auch die Mobile-Fassung habe länger gedauert als geplant, und Henderson habe er vergessen, weil dafür jemand anders verantwortlich gewesen sei. Er entschuldigt sich, auch das wortreich. Aber mal ehrlich - glaubt das noch jemand? Molyneux ist seit langem bekannt dafür, mehr zu versprechen, als er halten kann, und dann hinterher zu erklären, warum's diesmal wieder nicht funktioniert hat.

Black & White war das beste Beispiel: als ultimatives Götterspiel angepriesen, in Wirklichkeit ein solider Riesenkuhsimulator. Klar, Molyneux ist auch ein Held meiner Jugend, Populous und Magic Carpet waren großartig, Syndicate und Dungeon Keeper noch großartiger. Bei seinen neuzeitlichen Werken umwabert den Designer aber der Ruf des notorischen Dampfplauderers: Ach, der alte Brite verspricht mal wieder das Blaue vom Himmel. Das wird am Ende doch eh wieder halbgar.

Gefühlsechtes Gespräch

Umso richtiger finde ich's, ihn im Gespräch härter anzufassen. Auch, weil das Ziel der Presse stets die Wahrheitsfindung sein sollte. Und die Wahrheit findet man eben nicht, indem man jemandem eine halbe Stunde lang Honig ums Maul schmiert. Vor allem aber bringt ein hartes, ein emotionales und schonungsloses Interview die Seite eines Menschen zum Vorschein, die ich wirklich sehen will: die authentische. Ich möchte nicht den politischen, den erklärenden, den verkaufenden Molyneux, sondern den echten.

Ich möchte wissen: Wie tickt dieser Mann, wie arbeitet er, was kann ich ihm glauben, wo liegen seine Schwächen? Und genau das leistet das Molyneux-Interview für mich. Ja, Peter wird gegrillt, aber seine Verzweiflung auf dem Grill, die scheint echt. Ja, man kann aus dem Text herauslesen, wie unangenehm sich Molyneux fühlt. Aber genau das macht ihn authentisch. Menschlich. Da bröckelt die Fassade.

Die iPad-Version von Godus wurde offensichtlich bevorzugt entwickelt. Lag das daran, dass sie einen Publisher hat? Die iPad-Version von Godus wurde offensichtlich bevorzugt entwickelt. Lag das daran, dass sie einen Publisher hat?

Nicht umsonst ist es für viele US-Journalisten gang und gäbe, Politiker derart aus der Komfortzone zu reißen. In Deutschland lesen und sehen wir das selten, ein Positivbeispiel ist die ARD-Sendung »Hart, aber fair«, deren Moderator Frank Plasberg zumindest versucht, seine Gäste mit früheren Zitaten zu konfrontieren und auf konkrete Aussagen festzunageln. Fähnchen in den Wind? Nicht mit mir! Der Vorteil für den Interviewten kann darin bestehen, dass er, sobald er seine echte Seite zeigt, vielleicht plötzlich sympathisch wird. Und vor allem: glaubwürdig.

Ich glaube Molyneux, wenn er selbst unter schwerem Fragenbeschuss noch davon fabuliert, dass er diese oder jene Idee für toll hält und dies oder jenes unbedingt umsetzen will. Nicht, dass diese Ideen an sich so toll wären, ich persönlich finde Godus eher müde. Aber Molyneux kommt tatsächlich rüber wie ein Mann, der sich in seine Ideen nicht nur verliebt, sondern regelrecht verrennt. Und sich dann aufrichtig - in diesem Fall sogar verzweifelt - entschuldigen muss, dass er nach 30 Branchenjahren immer noch nicht einschätzen kann, wie lange die Entwicklung eines Spiels dauert.

Das Grillen mag nicht nett sein, vielleicht nicht mal fair. Aber es gibt dem Interviewten die Chance, sich zu beweisen. Wer den Hochofen übersteht, geht gestärkt daraus hervor. Deshalb glaube ich, dass dieses Gespräch Molyneux sogar geholfen hat - jedenfalls mehr, als eine seiner üblichen Dampfplauder-Sitzungen. Dieses Mal, dieses eine Mal, habe ich ihm nämlich geglaubt.

Gut gemacht, Mister Walker.

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