Als ich zum ersten Mal Horizon Zero Dawn spielte, war mir schnell klar: Das ist mein Spiel. Eine beeindruckende Welt, eine coole, sympathische Hauptfigur, viel Liebe zum Detail und eine spannende Geschichte. Vor allem Aloys Erforschen der eigenen Identität und der Wunsch nach gesellschaftlicher Akzeptanz sprachen mich an.
Nachdem ich den Nachfolgeteil Horizon Forbidden West zum ersten Mal beendet hatte, ist mir dann aber eine Sache deutlich geworden: Noch viel stärker identifiziere ich mich mit Beta. Und auch wenn das auf den ersten Blick etwas seltsam erscheint – ist sie doch das komplette Gegenteil von Aloy: schwach, voller Zweifel, verschlossen – macht mir das Spiel am Ende klar, dass Aloy auf Beta genauso angewiesen ist wie umgekehrt. Und das hat mir auch geholfen, meine eigene Identität zu verstehen.
Achtung, Spoiler! Dieser Artikel verrät einzelne Story-Elemente von Horizon Forbidden West.
Die Lebenswege von Beta, Aloy und mir
Beta ist wie Aloy ein Klon von Elisabet Sobeck, die Wissenschaftlerin, die mit dem Zero Dawn Projekt den Erhalt der Menschen sicherstellen wollte. Sie hat rein körperlich die gleichen Startbedingungen ins Leben wie Aloy, aber ihre Sozialisierung verlief völlig anders. Erschaffen wurde Beta von den Far Zeniths, eine Gruppe superreicher Opportunist*innen. Die machten ihr klar, dass sie an ihrer Situation nie etwas ändern könne und nur Mittel zum Zweck war, keine eigene Handlungsmacht hatte. Sie wurde zum passiven, ängstlichen und schicksalsergebenen Menschen erzogen.
Anders lief es bei Aloy: Sie wurde als Baby von ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen. Das elternlose Kind passte nicht in das Weltbild der Nora-Gemeinschaft, das gänzlich auf mütterliche Abstammung aufgebaut ist. Obwohl ihre Versuche, sich der Gemeinschaft anzuschließen, immer wieder auf Abweisung, Beleidigung bis hin zur Gewalt stießen, ließ Aloy nicht locker. Ihr Ziehvater Rost unterstützte sie und so entwickelte sie die Überzeugung, dass selbst das Unmögliche möglich ist.
Das Aufeinandertreffen von Aloy und Beta ändert für beide alles. Aloy erkennt, dass die Rettung der Menschheit nicht nur an ihr alleine hängt und sie es gar nicht ohne Hilfe schaffen kann. Beta wiederum konnte ohne Hilfe nichts gegen die Misshandlung und Manipulation der Zeniths ausrichten. Sie weiß, wie machtlos sie alleine ist - bis Aloy in ihr Leben tritt. Dann traut Beta sich zum ersten Mal Widerstand zu leisten und setzt sogar ihr Leben aufs Spiel, weil die potenzielle Freiheit es wert ist. Ganz so dramatisch war es bei mir vielleicht nicht, aber auch ich hatte ein ähnliches Erlebnis wie Beta.
Fehlende Akzeptanz führt zu Rückzug
Schon Aloys Erfahrungen in den ersten Stunden aus Horizon Zero Dawn – genauso wie die danach folgende Suche nach der eigenen Identität – kenne ich selbst gut. Auch wenn Aloys Heldinnenreise keine explizite Metapher für eine trans Person ist, sondern eher für allgemeine Ausgrenzung steht, traf es mich emotional an einem wunden Punkt. Mit der Pubertät drängte sich das Thema Identität bei mir zunehmend in den Vordergrund. Anders als Aloy, die sich bei der Suche nach sich selbst mit erhobenem Haupt und großem Mut allen Gefahren stellt, machte ich es wie Beta. Ich zog mich zurück. Ich gehorchte so gut ich konnte, ich passte mich an so gut ich konnte. Ich zweifelte, ich hatte Angst, ich war hoffnungslos.
Zur Autorin
Lara Keilbart
@LaraKaaa
Lara zockt Videospiele seit sie denken kann, mit sienben Jahren bekam sie ihren ersten Game Boy geschenkt und mindestens genau so lange weiß sie, dass sie trans ist. Ihr Coming Out hatte sie allerdings erst mit Mitte 20. Spiele waren und sind für sie immer ein Rückzugs- und Zufluchtsort. Die Geschichten sind ihr dabei wichtiger als Genre und Graphik, von Celeste über Hellblade bis zu Stray ist alles dabei.
Dieses Gefühl ist es, was Beta und mich vereint. Lange dachte ich, es gäbe keinen Ausweg für mich und meine Geschlechtsdysphorie. Ich kannte schlichtweg keine trans Personen. Zugegeben, so drastisch wie die Zeniths mit Beta umgehen, war es bei mir beileibe nicht. Die offene Queerfeindlichkeit in meinem Umfeld zwang mich trotzdem, meine Identität zu verleugnen und in Frage zu stellen. Selbst in Medien wurde sich über queere Menschen lustig gemacht und sie wurden als ekelhaft und gefährlich dargestellt.
Positive Gegenbeispiele hatte ich keine. Alles was ich kannte, waren sehr negative Darstellungen, wie etwa “Ace Ventura” oder “Das Schweigen der Lämmer”. So kam ich zu der Überzeugung, dass meine Gefühle falsch sein müssen und ich mich cisgender heterosexuellen Normen anpassen muss. Physische Gewalt habe ich durch das lange Verstecken meiner Geschlechtsidentität und späte Coming out wenig erfahren, aber die Angst davor ist auch heute noch da.
Gemeinschaft und Empathie sichern das Überleben
Erst mit Mitte 20 hatte ich meinen Beta-trifft-Aloy-Moment, als ich über das Internet mit anderen trans Frauen in Kontakt kam. Darauf folgte mein Coming-Out und der Beginn meiner Transition. Ähnlich wie bei Beta hatte ich plötzlich Menschen um mich, die sich um mich kümmerten. Die mich akzeptieren wie ich bin und die mich mit viel Einfühlungsvermögen unterstützen, bis heute.
Wie Beta hatte und habe ich Rückschläge: So wie sie sich anfangs nicht traut, die sichere Basis zu verlassen, ziehe auch ich mich am liebsten zurück, wenn mir scheinbar unüberwindbare bürokratische Hürden oder die Benachteiligung von trans Personen durch das Gesundheitssystem zu viel werden. Aber zum Glück habe ich inzwischen eine Gemeinschaft, die mir den Rücken stärkt und mir die Kraft gibt, mich alten Traumata zu stellen - so wie es auch Aloy für Beta tut.
Bezugspersonen und eine unterstützende Gemeinschaft machen also den Unterschied. Das zeigt auch Horizon Forbidden West ganz deutlich in dem Moment, als Aloy und Beta einander endlich verstehen lernen: Nämlich als Aloy ihrer “Schwester” von Rost erzählt und lernt, dass Beta nur etwas Unterstützung braucht:
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Für mich ist das der stärkste Moment des Spiels und ja, ich habe dabei geweint. Betas innerer Konflikt, ihr Drang, helfen zu wollen, aber es wegen ihrer Angst vor dem Scheitern nicht zu können, hat mich sehr an meinen eigenen Kampf erinnert. Als Aloy endlich Betas Gründe versteht und ihr mit Empathie begegnet, spürte ich, wie sehr ich genau das selbst gebraucht habe. Hier wird deutlich, wie wichtig unterstützende Bezugspersonen sind und gleichzeitig wie Empathie für völlig andere Lebensrealitäten uns zusammenbringen kann. Aloys eigene Stärke wird angetrieben durch Leute wie Varl, Talanah, Petra, Erend und schließlich auch Beta.
Unser Umfeld hat bis ins hohe Alter Einfluss darauf, wer und wie wir sind. Mich bestärken Freund*innen und die queere Gemeinschaft. Ich bin fest davon überzeugt, dass alle Menschen, queere wie nicht-queere, das konstant brauchen - besonders mit Blick auf die aktuelle Situation in der Pandemie, Umweltkriesen und Co. zum Alltag gehören. Der Rückhalt in der engsten sozialen Gruppe ist hier umso wichtiger. Und das habe nicht nur ich gelernt, sondern auch Aloy und Beta.
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