Hogwarts Legacy wird das erste große Harry Potter-Spiel seit vielen Jahren. Für viele Fans ruhen daher eine Menge Hoffnungen auf dem Open World-Titel von Avalanche Software. Ganz ungetrübt ist die Vorfreude allerdings nicht, denn es gibt einige Kontroversen, die sich um Harry Potter-Schöpferin J.K. Rowling und den ehemaligen Hogwarts Legacy-Lead Designer John Leavitt drehen.
Besonders in den sozialen Medien ist die Diskussion über das Thema oft verhärtet. Während die eine Seite den Boykott des Spiels fordert, gibt es für andere überhaupt kein Problem. Wieder andere Personen finden sich in einem Dilemma, ob sie das Spiel kaufen können, ohne damit realen Schaden anzurichten. Wir schlüsseln auf, um welche Themen es genau geht und inwieweit sie Hogwarts Legacy direkt oder indirekt betreffen.
Inhaltsverzeichnis:
- J.K. Rowlings Aussagen
- J.K. Rowlings politische Einflussnahme
- Darstellung in Harry Potter
- Kontroverse um Hogwarts Legacy-Lead Designer
- Einfluss auf Hogwarts Legacy
- Boykott oder nicht?
Historie der Transfeindlichkeit von JK Rowling
J.K. Rowling stand in den vergangenen Jahren mehrfach für kontroverse Aussagen in der Kritik, speziell für trans-feindliche Ansichten. Die Harry Potter-Autorin engagiert sich offen für Frauenrechte, vertritt aber gleichzeitig die Meinung, dass trans Frauen keine “echten” Frauen seien.
Trans oder transgender ist eine Bezeichnung für Personen, deren Geschlechtsidentität nicht oder nicht nur dem bei ihrer Geburt zugewiesenen Geschlecht entspricht. Der Begriff wird zur Abgrenzung zu cisgender Personen genutzt, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.
Rowlings Ansicht nach existieren nur die biologischen Geschlechter Mann und Frau. Ein häufig besonders in der LGBTQIA+-Community verwendeter Begriff hierfür ist “TERF”: Das steht für Trans-ausschließender radikaler Feminismus – also Personen, die sich als Feminist*innen bezeichnen, aber trans Personen invalidieren oder diskriminieren.
JKRs Bekundung zu dieser Haltung geht zurück bis 2018, als sie auf Twitter einen Tweet gelikt hat, der trans Frauen als “Männer in Kleidern” bezeichnete. Ein Statement einer Stellvertreter*in der Autorin erklärte damals noch, dass sie den Like-Button versehentlich gedrückt habe.
2019 setzte die Autorin selbst einen Tweet ab, nachdem die Ökonomin Maya Forstater für trans-feindliche Aussagen vom Center for Global Development entlassen wurde. JKR schrieb daraufhin “Zieht euch an, wie ihr wollt. Nennt euch, wie immer ihr wollt. [...] Aber Frauen aus ihren Jobs zu drängen, weil sie sagen, dass es Geschlechter gibt?” zusammen mit dem Hashtag #IStandWithMaya. Damit bezieht sie sich auf Forstaters Aussage, dass “männliche Menschen keine Frauen” seien und es nicht um Gefühle sondern Biologie gehe.
Diese Behauptung geht von einer streng binären Definition des biologischen Geschlechts aus, laut denen das weibliche Geschlecht sich aus den Chromosomen XX und das männliche aus XY zusammensetze. Allerdings ignoriert sie damit den modernen Forschungsstand, da wir inzwischen wissen, dass das biologische Geschlecht nicht allein von den Chromosomen bestimmt wird und sich etwa beim Klinefelter-Syndrom nicht zwingend aus zwei Chromosomen zusammensetzt.
2020 bezog JKR dann auf Twitter und ihrem Blog offen Stellung. Rowling schrieb zu einem Devex-Newsartikel über menstruierende Menschen: “'Menschen, die menstruieren?'"' Ich bin mir sicher, dass es dafür mal ein Wort gab.” Hiermit macht sie sich offensichtlich über den Begriff lustig, da Menstruieren ihrer Ansicht nach nur Frauen betrifft. Das schließt nicht nur trans Männer und nicht-binäre Personen aus, die ebenfalls einen Uterus haben – theoretisch sind laut Rowling damit sogar cisgender Frauen, die aus verschiedenen Gründen keinen Uterus (mehr) haben, keine Frauen mehr.
In ihrem Blogeintrag bekundete sie Sorge über “den neuen trans Aktivismus”. Das Essay enthält zahlreiche Falschaussagen, darunter eine inzwischen widerlegte Studie, laut der die “stark zunehmende Geschlechtsdysphorie” (also sich mit dem eigenen Geschlecht nicht wohl zu fühlen) junger Menschen auf “soziale Ansteckung” zurückzuführen sei. Auch weitere Aussagen des Essays wurden bereits an verschiedenen Stellen widerlegt. In einem Folgetweet bestärkte JKR ihre Meinung nochmals, verneinte aber gleichzeitig, dass sie transphob sei:
Wenn Geschlecht nicht real ist, gibt es keine gleichgeschlechtliche Anziehung. Wenn Geschlecht nicht real ist, wird die gelebte Realität von Menschen überall auf der Welt ausgelöscht. Ich kenne und liebe trans Menschen. [...]
Die Idee, dass Menschen wie ich, die seit Jahrzehnten Empathie für trans Menschen haben, [...] trans Personen ‘hassen’, nur weil sie glauben, dass es Geschlechter gibt, ist Schwachsinn. Ich respektiere das Recht jeder trans Person, auf eine Art zu leben, die sich authentisch und angenehm für sie anfühlt. Ich würde mit euch marschieren, wenn ihr diskriminiert werden würdet, weil ihr trans seid.
Dabei bedeutet die Existenz von trans Personen nicht automatisch, dass es keine Geschlechter gibt. Im Gegenteil, vielmehr leiden viele trans Personen darunter, dass sie sich nicht mit ihrem zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Das biologische Geschlecht ist also nicht gleichbedeutend mit der Geschlechtsidentität. Moderner Feminismus unterscheidet hier häufig zwischen dem körperlichen und dem sozial konstruierten Geschlecht mit der damit einhergehenden Rolle.
Intersektionaler Feminismus etwa bildet ein Gegenargument zu Rowlings Aussage, dass damit die gelebte Realität von Menschen ausgelöscht würde. Er geht davon aus, dass auch innerhalb des Feminismus verschiedene Diskriminierungsquellen koexistieren, ohne im Widerspruch zueinander zu stehen. Die Unterdrückung von trans Frauen etwa trägt demnach nicht von der gesellschaftlichen Unterdrückung von cisgender Frauen ab, sondern ist vielmehr eine weitere Facette fehlender Gleichberechtigung von Frauen.
Rowling veröffentlichte außerdem unter ihrem Pseudonym Robert Galbraith das Buch “Böses Blut”. In dem Werk geht es um die Jagd nach einem Serienmörder, der ein cis Mann ist, sich aber als Frau verkleidet, um Frauen zu töten. Die Botschaft klingt nach einer Warnung vor Männern, die sich als Frau verkleiden – ein Begriff, den Rowling in ihrem 2018 gelikten Tweet mit trans Frauen in Verbindung bringt.
Die Autorin stellt sich zudem offen gegen einen schottischen Gesetzentwurf, der die Definition von transgender Geschlechtsidentitäten erweitern und es Menschen erleichtern soll, rechtlich als ihr bevorzugtes Geschlecht anerkannt zu werden. Im Oktober 2022 bezeichnete sie die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon als “Zerstörerin von Frauenrechten” als Reaktion auf den Entwurf.
Die Auswirkungen von JKRs transphoben Ansichten
Rowlings Aussagen (von denen wir in diesem Rahmen nur die wichtigsten aufführen können) und Taten haben vielen Menschen, die selbst trans sind oder sich für Transrechte einsetzen, Schaden zugefügt. Zwar stellt sie ihre Argumentation dar, als wolle sie lediglich Frauenrechte verteidigen, gleichzeitig invalidiert sie damit effektiv die Existenzberechtigung von trans Personen, die ohnehin schon häufig mit Diskriminierung zu kämpfen haben, ob privat oder im Berufsleben. Rowlings Einstellung verschlimmert diese Situation noch, da sich transphobe Menschen dadurch validiert fühlen.
Besonders queere Harry Potter-Fans sehen sich betroffen oder von JKR betrogen – viele von ihnen fühlten sich im Leben selbst irgendwann als Außenseiter*innen und haben sich in den Harry Potter-Büchern wiedererkannt oder eine Zuflucht gefunden. Auch die Harry Potter-Darsteller*innen Daniel Radcliffe, Emma Watson und Rupert Grint haben sich explizit gegen den Standpunkt von JKR und für die Rechte von trans Personen ausgesprochen.
Link zum Twitter-Inhalt
Die Aussagen der Autorin sind allerdings nicht nur für viele Menschen verletzend, sondern haben einen nachweislichen gesellschaftlichen Einfluss. 2021 hat die ILGA Europa, ein Verband der sich für Gleichberechtigung und Menschenrechte queerer Personen einsetzt, in ihrem jährlichen Bericht über die Situation in Großbritannien von einer starken Verschlechterung der Situation gesprochen:
Anti-trans Rhetorik hat in diesem Jahr wieder ernsthaften Schaden in UK angerichtet. Ein Paradebeispiel sind die wiederholten, transphoben Angriffe von Autorin JK Rowling.
Während sich Großbritannien zu diesem Zeitpunkt noch auf Platz 10 des Länderrankings befand, ist es inzwischen auf Platz 14 gerutscht. Eine reale Auswirkung der Stimmung in UK zeigt sich zuletzt darin, dass Großbritannien das schottische Transgendergesetz blockiert hat und die Zahl der Hassverbrechen gegen trans Personen 2022 um 56% im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist.
Rowlings Einfluss hört dabei nicht bei ihren Aussagen auf, sie nutzt zudem ihr Vermögen für ihren Aktivismus. Im Dezember 2022 etwa hat sie in Edinburgh ein Frauenhaus für Opfer häuslicher Gewalt gegründet, das ausschließlich cis Frauen aufnimmt. Damit schließt sie trans Frauen explizit aus, obwohl staatliche Hilfsangebote in Schottland cis und trans Personen gleichermaßen offen stehen.
Antisemitische Darstellung und Aneignung bei Harry Potter
Auch einige der Darstellungen in den Harry Potter-Büchern standen bereits in der Vergangenheit in der Kritik. Besonders die Kobolde, die in der Story von Hogwarts Legacy eine große Rolle spielen werden, weisen einige starke Ähnlichkeiten zu antisemitischen Motiven auf: Sie werden in den Harry Potter-Filmen als listige, kleinwüchsige Bänker*innen mit Hakennase und Segelohren dargestellt – das erinnert an antisemitische Karikaturen, wie sie in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus kursierten. Dieses Klischee findet in anderen Medien ebenso Anwendung, Rowling bedient sich in ihrem Werk lediglich bewusst oder unbewusst daran.
Die Darstellung der Hauselfen wurde ebenfalls mehrfach kritisiert, da ihre Situation klare Parallelen zu realer Sklaverei aufzeigt. Zwar wird die Thematik in den Büchern teilweise behandelt, etwa wenn Hermine sich für die Freiheit der Hauselfen einsetzt, die Umsetzung könnte allerdings besser sein: Wo Hauself Dobby sich über seine Freiheit freut, gibt es mit Winky das direkte Gegenstück. Für sie ist die Befreiung eine Bestrafung, unter der sie stark leidet und sie bleibt ihrem ehemaligen “Meister” weiterhin treu.
2016 publizierte Rowling auf Wizarding World Digital außerdem eine fiktive Magie-Historie der indigenen Bevölkerung Nordamerikas. Die Darstellung sorgte auf Social Media für viel Kritik, da JKR sich tatsächlich existierende Mythen und gelebte Traditionen angeeignet und sie verfälscht hat. Rowling ist auf die Kritik nicht eingegangen.
Kontroverse um John Leavitt
Die Kontroverse um Hogwarts Legacy bezieht sich allerdings nicht ausschließlich auf die Harry Potter-Autorin, obwohl sie klar im Fokus liegt. Der ehemalige Lead Designer John Leavitt stand 2021 ebenfalls in der Kritik, als dessen YouTube-Kanal bekannt wurde, auf dem er frauenfeindliche und pro-Gamergate-Ansichten vertritt. Leavitt verließ daraufhin das Studio nach eigenen Angaben freiwillig. Zwar hat er damit inzwischen keine direkte Verbindung zu Hogwarts Legacy mehr, allerdings war er jahrelang an der Entwicklung beteiligt und Fans zeigten sich besorgt, dass seine Ansichten einen Platz im Spiel gefunden haben könnten.
Mehr dazu könnt ihr hier nachlesen:
Was bedeutet das nun für Hogwarts Legacy?
Die Entwickler*innen von Hogwarts Legacy scheinen sich so weit wie möglich von den Ansichten Rowlings entfernen zu wollen. Das FAQ des Spiels weist darauf hin, dass JKR nicht an der Entwicklung von Hogwarts Legacy beteiligt ist. Game Designer Kelly Murphy etwa hat im Interview mit GamePro deutlich gemacht, welcher Philosophie das Spiel folgen will:
Es war wirklich wichtig für uns, dass wir ein Spiel machen, wo du, ganz egal wer du bist, ankommen kannst und das Gefühl bekommst, als wärst du zu Hause und willkommen und akzeptiert.
Ein Beispiel dafür findet sich im Charaktereditor von Hogwarts Legacy. So können wir im Spiel Aussehen, Stimme und Geschlecht unabhängig voneinander festlegen, nur unsere Pronomen können wir nicht frei wählen. Theoretisch ist es also problemlos möglich, als trans Charakter zu spielen.
Wie das bei Charakter-Erstellung konkret aussieht, zeigt das Vorschau-Video:
Gleichzeitig gehören die Rechte an der Harry Potter-Marke aber natürlich Rowling. Entsprechend profitiert sie monetär vom Spiel, auch wenn nicht bekannt ist, ob sie direkt an den Verkäufen beteiligt wird oder nicht. Auf Twitter hatte Rowling bereits angegeben, dass sie sich nicht dafür interessiert, ob Fans sich aufgrund ihrer Ansichten vom Franchise abwenden, solange sie weiterhin daran verdient: “Ich lese meine neuesten Tantiemen-Schecks und merke sehr schnell, dass es nicht mehr weh tut.”
Obwohl sich die Macher*innen von Hogwarts Legacy also von Rowlings Aussagen distanziert haben, lässt sich das Spiel nicht von der Harry Potter-Autorin trennen. Rowling nutzt ihr Geld und ihren anhaltenden Einfluss aktiv, um trans Menschen zu schaden. Somit tragen auch Spiele wie Hogwarts Legacy dazu bei, ihr weiterhin eine Plattform zu verschaffen, indem sie das Harry Potter-Franchise relevant halten.
Viele Fans wollen an dieser Kontroverse eigentlich überhaupt nicht beteiligt sein. Sie wünschen sich einfach nur eine der liebsten fiktiven Welten ihrer Kindheit oder Jugend als Videospiel zu erleben oder möchten sich mit dem nostalgischen Setting von aktuellen Weltereignissen ablenken. Da Rowling vom Franchise allerdings anhaltend profitiert, lässt sich Hogwarts Legacy nicht von der aufgeladenen politischen und persönlichen Diskussion loslösen.
Entsprechend ist es nicht verwunderlich, dass die Fronten in den sozialen Netzwerken verhärtet sind. Schließlich kann es hier nie einfach “nur” um ein Videospiel gehen. Vielmehr wird aus der Diskussion die Frage, ob Menschen ihre eigenen Bedürfnisse über den realen Einfluss auf die Lebensrealitäten marginalisierter Personen stellen wollen und dürfen.
Boykott oder nicht
Eine pauschale oder einfache Antwort darauf, ob ihr das Spiel boykottieren solltet oder nicht, können wir euch an dieser Stelle nicht geben, sondern euch lediglich die Hintergründe darlegen. Zwar ist bekannt, dass Spieleboykott oft eher die Entwickler*innen als verantwortliche Personen trifft, allerdings ist ebenfalls nicht zu leugnen, dass J.K. Rowling direkt oder indirekt von Hogwarts Legacy profitieren wird.
Letztlich können Fans nur basierend auf der Faktenlage und ihren eigenen Prioritäten entscheiden. Im Falle von Hogwarts Legacy gibt es für alle, die unsicher sind, aber zumindest die Möglichkeit, das Spiel zu leihen oder gebraucht zu kaufen – und natürlich die Menschen zu unterstützen, die von Rowlings Aussagen betroffen sind. Entsprechende Projekte könnt ihr etwa hier finden.
In den nächsten Tagen folgt auf GamePro außerdem ein Artikel, in dem wir aufschlüsseln, wie wir mit der Berichterstattung um Hogwarts Legacy umgehen und warum wir über kontroverse Themen berichten.