Für die deutsche Videospielbranche ist heute ein historischer Tag. Eine neue Rechtsauffassung ermöglicht es der USK zukünftig, Videospielen auch dann die Altersfreigabe zu erteilen, wenn verfassungswidrige Symbole im Spiel zu sehen sind. Solange die Darstellungen sozialadäquat sind, greift dieselbe Klausel, die auch Kinofilmen die Ausnahme vom generellen Verbot erteilt. Erstmals gelten für Videospiele die gleichen Auflagen wie für andere Mediengattungen.
Doch diese neue Regelung greift nicht nur für alle Videospiele, die in Zukunft entwickelt werden. Grundsätzlich hat nun jeder Publisher das Recht, die ungeschnittenen Originalversion älterer Titel erneut bei der USK einzureichen. Das könnte (zumindest in der Theorie) für ein Flut an Neuveröffentlichungen sorgen, die Videospiele nach Deutschland bringen, für die es bisher keine Altersfreigabe gab.
Aber ist das überhaupt eine gute Idee?
Brauchen wir denn wirklich alle Call of Duty- und Battlefield-Ableger der letzten Jahre noch einmal - nur jetzt eben mit dem Hakenkreuz auf der Nazi-Uniform? Gibt es durch die Darstellung verfassungswidriger Symbolik einen Mehrwert, der eine Neuveröffentlichung rechtfertigt?
Ja, den kann es durchaus geben. Und in manchen Fällen ist ein Re-Release meiner Meinung nach auch zwingend erforderlich.
Das beste und gleichzeitig eines der jüngeren Beispiele dafür ist Wolfenstein 2: The New Colossus. Während die ganze Welt hier mit einem jüdischen Polen in einer alternativen Zeitlinie Jagd auf Nazis macht, kämpfen wir in Deutschland gegen das Regime, einer vagen politischen Organisation, die auf verkrampfte Art und Weise von Nazi-Referenzen befreit wurde.
Hannes Rossow
@Treibhausaffekt
Ich habe Wolfenstein 2: The New Colossus sehr gern gespielt und fand es dennoch unglaublich, wie sehr die geschnittene Version die Kernaussage des Shooters verändert hat. Das Regime als Gegner ist nicht nur unbeholfen inszeniert, sondern auch problematisch, wenn dadurch böswillige Interpretationen zugelassen werden. Eine Neuveröffentlichung des Originals, die dann auch hierzulande zur offiziellen Fassung wird, finde ich daher wichtig.
Wer Nazis versteckt, versteckt auch ihre Verbrechen
Es macht aber einen großen Unterschied, wer in Wolfenstein 2: The New Colossus zu unseren Feinden gehört. Der bitterböse Satire-Shooter thematisiert im Original die Unmenschlichkeit der nationalsozialistischen Regierung sowie die Verbrechen der Nazis im Zweiten Weltkrieg. Als Teil des Widerstands werden wir ständig mit Grausamkeiten wie politischer Verfolgung und sogar dem Holocaust konfrontiert.
Und wie ist es in der geschnittenen, deutschen Version? Auch da ist das Regime brutal, aber es sind eben keine Nazis. Und weil Bethesda Softworks die bisherige strenge Rechtssprechung umgehen wollte, wurde der gesamte Kontext dieser Tatsache angepasst. Da es nicht um Nazis geht, geht es auch nicht um die Verfolgung der Juden, sondern um die Verfolgung von "Verrätern". Auch Konzentrationslager gibt es hier nicht, nur das Konzept von "Gefangenschaft".
Um der deutschen Rechtslage zu entsprechen, wurde also ein Spiel, das weiterhin offensichtlich den Nationalsozialismus thematisiert, derart umgeschnitten, dass der singuläre Massenmord an Millionen Juden nie stattgefunden hat. Das Leugnen des Holocausts steht weiterhin unter Strafe, durch die besonderen Umstände bietet die geschnittene Version aber eben diesen (ungewollten) Interpretationsspielraum.
Es geht auch um Verantwortung
Mit der Möglichkeit, jetzt auch das ungeschnittene Original in Deutschland zu veröffentlichen, sehe ich Bethesda Softworks in der Pflicht, hier zumindest Schadensbegrenzung zu betreiben. Denn auch wenn das Spiel in der geschnittenen Version nicht zwangsläufig problematisch ist, liefert die deutsche Fassung unnötig problematische Lesarten.
Gleiches gilt natürlich für alle anderen Videospiele, für die in der deutschen Version mehr als nur die Hakenkreuze entfernt wurden. In der Singleplayer-Kampagne von Call of Duty: WW2 sollten wir auch wirklich gegen die Wehrmacht kämpfen, damit die großen Schlachten des Zweiten Weltkriegs auch die historische Einordnung bekommen, die sie brauchen. Denn dass überhaupt gekämpft wurde, hatte ganz bestimmte Gründe.
Allerdings geht es auch um die Art und Weise, wie derartige Neuveröffentlichungen beworben werden. Es kann nur schaden, wenn Publisher einen populistischen Ansatz wählen und die Anwesenheit von Nazi-Symbolik als besonderes Schmankerl anpreisen - als Anreiz, der schockieren soll. Diese Gefahr besteht und ich kann nur hoffen, dass der deutsche Werberat auf derartige Aktionen angemessen reagiert.
Hakenkreuze schaffen Kontext und den braucht es auch in den Geschichten, die Videospiele uns erzählen. Durch die neue Rechtsauffassung ist das nun erstmals möglich und ich hoffe, dass das nun auch rückwirkend auf wichtige Titel der Vergangenheit angewendet wird, die zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung darauf verzichten mussten.
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