Es ist manchmal besser, nicht zu wissen, worauf man sich einlässt. Wenn ich geahnt hätte, was mich da wirklich erwartet, hätte ich das Bewerbungsgespräch mit Gunnar im Sommer 2002 womöglich nie durchgezogen. Da saß ich als eingeschüchterter Bursche ohne Abi, Studium oder irgendwelche journalistischen Vorkenntnisse in diesem kleinen Büro mit dem Typen, den ich flüchtig aus der GameStar kannte, und versuchte eher zögernd, einen Fuß in die Tür zu kriegen.
Dann gab's einen zweiten Termin, zu dem ich kurz nach dem Ziehen zweier Weisheitszähne nochmal aus dem hessischen Stammheim nach München reiste. Ich wurde ich in ein Büro verfrachtet, wo ich zum Pochen in meinem Kiefer Project Zero zocken und einen Probetext dazu schreiben sollte. Nun ja, Gunnar stellte mich dann ein. Danke dafür!
Wie gesagt: Hätte ich damals gewusst, was folgen sollte, hätte ich wohl den Schwanz eingekniffen und wäre nie erschienen. Als introvertierter Typ war es mir nämlich die folgenden Jahre immer ein wenig unangenehm, wenn ich auf der Straße erkannt wurde oder auf der Games Convention wie ein Rockstar Autogramme geben musste. Bizarrstes Erlebnis: Ich war mit einer alten Schulfreundin auf einem Manowar-Konzert und wurde dort vor ihren Augen von einem GamePro-Leser gebeten, auf einer Zigarettenschachtel zu unterschreiben, weil er nichts anderes dabei hatte. Ich bin doch kein Rockstar. Ich bin bloß der Kai aus dem kleinen hessischen Dorf am Arsch der Welt.
Leidenschaft Videospiele
Lasst mich nicht lügen, aber ich dürfte so um die sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein, als mein Vater eine primitive Pong-Konsole anschaffte. Über Atari VCS, Sega Master System und so weiter blieb ich den Videospielen anschließend immer treu. Und dann durfte ich plötzlich meine Liebe zu Videospielen in Texten und Videos (mein erstes Video einzusprechen, dauerte knapp drei Stunden) mit unglaublich vielen Menschen teilen. Natürlich waren die nicht immer meiner Meinung. Das ist nicht machbar, und damit muss man lernen, umzugehen. Fehler eingestehen, eine gesittete Diskussion zulassen und so. Auch gegenüber dem penetranten Typen, der einem immer wieder vorhält, dass man ein dummer Mensch ist, weil man sich für Wrestling begeistert.
Ich würde nicht unbedingt sagen, ich bin ein dummer Mensch, aber ein tollpatschiger. Case in Point: Ich stürme ins Spielezimmer und verkünde Kollege Henry, dass die Famitsu Dino Crisis 3 ziemlich mies bewertet hat – während er das Spiel gerade vorgeführt bekommt. Mein Namensvetter von Capcom hält mir das bis heute vor. Es tut mir so Leid, Kai!
Apropos PR: Kurios wird es, wenn PR-Leute, die einem als Aufpasser beim Durchspielen und Testen eines Grabräuber-Reboots über die Schulter sehen, nicht ganz mit der (sehr positiven) Meinung konform gehen und direkt zur Chefredaktion laufen, um einen anderen Tester anzufordern, der das Spiel womöglich doch "besser als Uncharted" einstufen würde. Ist nicht passiert, es gibt schließlich Grenzen.
GamePro-Jubiläum
Dieser Artikel ist Teil unserer Jubiläumswoche anlässlich des 20. GamePro-Geburtstages. Mehr Artikel dazu findet ihr in unserer Übersicht.
Reise um die Welt in 20 Jahren
Was ich jetzt als nächstes sage, könnte man als "Aha, der wurde also gekauft!" auslegen. Presse-Events im Ausland. Lasst mich euch aber versichern, dass ich mich nie bewusst habe beeinflussen lassen. Wenn etwas meiner Meinung nach Mist war, dann habe ich das immer so gesagt. Niemals hätte ich mir allerdings träumen lassen, dass meine erste Flugreise im Leben mich gleich nach Los Angeles führt, und ich dort im gleichen Hotel übernachten würde, in dem Keenen Ivory Wayans im Film "Mister Cool" durchs Fenster springt. Dass ich am Set von "Doom" Dwayne Johnson treffen würde – außerhalb von Prag, direkt neben einem Aldi.
Oder dass ich meinen Geburtstag mal in Orlando bei einer Wrestlemania verbringen würde. Oder dass ich Stone Cold Steve Austin mal die Hand schütteln und mit ihm plaudern dürfte. Oder dass ich nach Tokio fliegen würde, um wrestlingbegeisterte japanische Entwickler zu besuchen, die mich nach einigen Treffen über die Jahre sofort wiedererkennen und mit einem herzlichen "Kai-san!" begrüßen. Es gab so viele coole Momente in den 20 Jahren GamePro, ich könnte ein ganzes Heft damit füllen. Nicht um zu protzen, sondern weil es nun mal dazugehörte und Material für unzählige Geschichten bietet.
Wobei, eine Geschichte muss ich im Zusammenhang mit Wrestling-Reisen noch erzählen: Es begab sich 2012, dass der damalige WWE-Lizenzinhaber THQ anlässlich der Veröffentlichung von Darksiders 2 kleine, personalisierte Grabsteine mit eingraviertem Namen sowie Geburts- und Todesdatum (Release-Termin von Darksiders 2) verschickte. Auch ich erhielt einen. Makabrer Scherz, ich fand ihn aber sehr lustig.
Auch weil ich noch am selben Tag wegen eines WWE-Events mit dem PR-Mann von THQ telefonierte und er mich fragte, wie ich denn eigentlich den Grabstein finden würde. "Echt cool, aber du weißt schon, dass wir an meinem Todestag zusammen im Flieger nach Los Angeles sitzen?" Betretenes Schweigen am anderen Ende der Leitung. Klassiker. Hallo Carsten!
Die lieben Kollegen
Nicht weniger cool als solche Erlebnisse sind auch die Kollegen, mit denen ich über die Jahre zusammenarbeiten durfte. Bernd, Dave, Kosta, Benny, Tobi, Nino und so viele andere, die in der Redaktion kamen und gingen. Das waren für mich immer mehr als bloß Arbeitskollegen. Was haben wir zusammen für einen Blödsinn veranstaltet!
Und natürlich der unvergessene Henry Ernst, mit dem ich mich mal von einer Verlags-Weihnachtsfeier schlich, auf die wir beide keinen Bock hatten. Und wir machten ein Stealth-Abenteuer draus. Mit dem Fahrstuhl aus der Redaktion runter ins Erdgeschoss, wo die Tische aufgebaut waren, und zehn Meter an den plauschenden IDG-Kollegen vorbei durch den Haupteingang nach draußen? Nein, zu einfach! Henry wollte sich unbemerkt verdünnisieren. Also schlichen wir darum bemüht, nicht gesehen zu werden, in die Tiefgarage, öffneten das große Tor und verschwanden zu Fuß durch die Ausfahrt. Grandiose Aktion. Und im Nachhinein unglaublich lustig, weil sich wohl keiner um die beiden Gestalten geschert hätte, die nach draußen verschwanden.
Auch mit Geschichten über Henry könnte ich ganze Sonderausgaben füllen. Der Kerl hatte einfach positiv was an der Waffel, und wir ergänzten uns zeitweise wie "Dick und Doof". Als Heimkinofanatiker überzeugte er mich damals, von meinem spärlichen Trainee-Gehalt schweineteures Teufel-Boxensystem auf Raten zu kaufen. Ich habe es nicht bereut. In dem Zusammenhang bleibt sein fachmännisches Fazit zur Blu-ray von "Nachts im Museum" unvergessen: "Der Film ist ganz schön scheiße. ABER DER SOUND!" Ach, ich vermisse ihn.
Crunch und Co.
Und selbstverständlich gab’s in all den Jahren GamePro auch Schattenseiten. Das fing gleich zu Beginn an, als wir über mehrere Monate geradezu mit Überstunden planten und teils bis Mitternacht oder später in der Redaktion saßen, um das Heft fertigzukriegen. Sonntagsarbeit? Kurz vor der Druckereiabgabe "erwünscht". Heute nennt man das wohl "Crunch". Aber davon sind wir nun schon lange weg. Ich entpuppte mich wohl auch gleich am Anfang blöderweise als verlässliches Arbeitstier, weshalb ich als unerfahrener Trainee gefühlt die halbe erste Ausgabe der GamePro im Alleingang machte, während Benedikt Plass den Rest erledigte.
Wie gesagt: gefühlt. Nicht dass ich wirklich die Hälfte der Artikel zu verantworten hätte. Obwohl irgendwer mir gegenüber dann auch mal sagte: "So, du bist das also, der die erste Ausgabe geschrieben hat." Ja, das waren harte Zeiten. Aber ich würde sie rückblickend nicht missen wollen, weil ich nicht zuletzt durch den Zuspruch der Leserschaft verstand, dass ich da an etwas arbeitete, das vielen Leuten etwas bedeutete, die ähnlich wie ich selbst tickten.
Tja, und dann waren da noch diese Stolpersteine, die man auch Chefredaktion nennt. Etwa Gunnars unverständlicher Wunsch, nicht ins Gefängnis gehen zu müssen. Das führte unter anderem zu einer Mission: Impossible, die er mir für eine Mortal-Kombat-Titelstory zuwies: Schreib eine Zusammenfassung der Ereignisse, aber vermeide es, "Mortal Kombat" zu erwähnen. Seine Angst: Ein simples Mortal Kombat ohne Titelzusatz könnte als Werbung für das damals noch beschlagnahmte erste Spiel der Reihe ausgelegt werden. Dumm, wenn das Turnier eben auch so heißt. Aber ich hab’s geschafft, und Gunnar musste nicht ins Gefängnis. Gern geschehen!
Schön auch meine erste E3 im Jahr 2004. Ich fragte damals André, ob wir nicht was zu diesem Actionspiel mit dem griechischen Kämpfer machen sollten, das ich am Sony-Stand gesehen hatte. Er meinte bloß, das würde keinen interessieren. Also gab’s bis auf einen kleinen Verweis keine Infos zu God of War. Wie wir heute wissen, hat das Spiel wirklich niemanden interessiert. Hahaha.
Print ist immer noch meine Liebe
Wir hatten in all den Jahren Hochs und Tiefs. Die anfängliche Anarchozeit war etwas ganz Besonderes. Wir wurden "professioneller", legten andere Schwerpunkte, mussten mit dem Wandel der klassischen Zeitschriften hin zum Internet klarkommen. Dabei ging sicher ein wenig vom anfänglichen GamePro-Charme verloren. Das will ich gar nicht bestreiten. Doch man kann nicht 20 Jahre lang im Chaos arbeiten oder sich den Markttrends verschließen. Das Resultat ist nun ein Heft, in dem ihr größtenteils Artikel findet, die es auch auf der Website gibt. Doch das war auch früher nicht anders, und wer hier von Recycling oder Schlimmerem spricht, tut der Sache Unrecht.
Es ist diesem Typen aus dem kleinen hessischen Dorf, der vor 20 Jahren nach München zog, um sein Lieblingshobby zum Beruf zu machen und nun als "Senior Managing Editor Print" jeden Monat das Heft plant, ein wichtiges Anliegen, dass ihr wisst: In der Papier-GamePro steckt immer noch Leidenschaft drin, auch wenn die Artikel, die früher zuerst fürs Heft geschrieben wurden und dann Online gingen, nun eben zuerst auf der Website landen. Der Prozess ist im Prinzip der gleiche, hat sich nur umgedreht. In der Printredaktion passen wir die Texte an und motzen sie mit Artworks, Extrakästen sowie unseren sogenannten Printmomenten (aufwendigere Info-Elemente) auf.
Auch Tests für Website und Heft gegenlesen gehört zu meinen Aufgaben. Nur Fremdartikel zu redigieren und Inhalte zu planen, kann aber selbst im mit Actionfiguren gefüllten Home Office mal eintönig werden. Deshalb nehme ich mir hin und wieder die Zeit, zusätzlich zur monatlichen (Print-)Trash-Corner auch mal einen längeren Artikel oder gar eine Titelstory zu schreiben. Die finden allerdings nicht immer ihren Weg auf die Website. Und wenn doch, freue ich mich immer über Kommentare von Usern, die sich noch an den alten Sack von damals erinnern. Ich bin nicht weg, sondern nur woanders.
Wenn ich die Zeit zum Schreiben finde, bekomme ich immer wohlige Flashbacks zu den guten alten Zeiten. Wie gerade eben, als ich diese Kolumne hier schrieb, die vom ursprünglich angedachten Umfang plötzlich auf das Vierfache anwuchs und hoffentlich nicht nur mir das ein oder andere Grinsen ins Gesicht zauberte. Und da fällt mir ein: Einen hab ich noch! Ich habe mal in Mainz die private Toilette von Uwe Boll benutzt, als wir ihn zum Interview besuchten. Versucht das mal zu toppen!
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