FIFA 17 - Meinung: The Journey ist ein guter Anfang, aber leider kein Volltreffer

The Journey hat Lindas Interesse für FIFA geweckt. Während sie durch den Storymodus spielerisch endlich Zugang zur Fußballsimulation fand, ließ sie die oberflächliche Geschichte um Alex Hunter enttäuscht zurück. Dabei hätte The Journey so viel von der Welt des Fußballs erzählen können.

FIFA 17 - Trailer zum Story-Modus Video starten 1:53 FIFA 17 - Trailer zum Story-Modus

FIFA 17: The Journey, der neue Story-Modus des beliebten Fußball-Franchises, ist seltsam. Seltsam, weil ich den Helden Alex Hunter, seinen Kumpel Gareth und den überambitionierten Agenten Michael Taylor an mehreren Stellen der Geschichte am liebsten über den Jordan gejagt hätte. Seltsam ist die erste dramatisch inszenierte Geschichte der FIFA-Reihe aber auch, weil er meine Augen und mein Herz für ein Franchise öffnete, für das ich zuvor nicht einmal einen Hauch von Interesse zeigte.

Ich bin so verwirrt, wie es ich lange nicht mehr nach dem Ende einer Videospiel-Story war: Ich freue mich, weil ich durch The Journey nun endlich Zugang zur Fußball-Reihe von EA gefunden habe und ärgere mich umso mehr darüber, dass der neue Modus so viel erzählerisches Potenzial verschenkt.

Spielerische Zugänglichkeit

Bereits als Alex Hunter und sein E-Jugend-Freund Gareth Walker zu Beginn ihr Talent in den Sichtungslehrgängen unter Beweis stellen müssen, wird deutlich, dass sich The Journey in erster Linie an weniger erfahrene FIFA-Spieler richtet. Während ich in der Haut des 17-Jährigen um die Gunst der Talentscouts buhlte, fühlte ich mich selbst in die Rolle der Fußball-Novizin versetzt, die sich das neongelbe Leibchen überstreifen muss. Weder für das Training noch für die Matches musste ich mich je verausgaben: Ungeachtet des Schwierigkeitsgrades (sicherlich hätte ich mir auf Profi oder Weltklasse selbst Steine in den Weg legen können) genügten im zentralen, offensiven Mittelfeld sichere Pässe und im besten Fall eine Vorlage, um eine Wertung von acht Punkten einzufahren und Hunter damit einen Platz in der Startelf zu sichern. Wird er ausgewechselt, simuliert das Spiel den Rest des Matches.

Mechaniken, in die wir uns unzählige Stunden lang festbeißen können, bis wir irgendwann zu einem kompetenten, allen Kniffen des Spiels vertrauten Fußball-Strategen heranwachsen, bietet The Journey hingegen nicht. Während wir uns in der Managerkarriere als allmächtiger Fädenzieher komplexe Überlegungen zu Transfers oder der Finanzpolitik des Vereins durch den Kopf gehen lassen, erleben wir im Story-Modus das Geschehen auf dem Platz allein aus der Perspektive des Helden mit der Nummer 29.

Nicht zuletzt deswegen mangelt es The Journey an spielerischer Tiefe. Für mein Erlebnis der Geschichte und meine Haltung gegenüber FIFA 17 selbst ist das aber kein Manko. Im Gegenteil: Der alleinige Fokus auf Hunter verleiht seinem Werdegang Nachvollziehbarkeit. Allein auf die fußballerischen Fähigkeiten bezogen, fühlte ich mich mit dem Youngster verbunden: Zwei Fußball-Newcomer, die in einer der besten Ligen der Welt Stars wie Ángel Di María oder Eden Hazard übertrumpfen müssen. Aus anfänglichen stümperhaften Ballabgaben machte ich bald gefährliche Steilpässe und zaghafte erste Abschlüsse wurden zu kunstvollen Effet-Schüssen, die ich aus 20 Metern Entfernung ins linke Eck zwirbelte - meine Fähigkeiten als FIFA-Spielerin gediehen parallel zu den Werten meines Helden. Ich wuchs mit ihm.

Linda Sprenger (@lindalomaniac): Bis auf einige Spielstunden mit früheren Vertretern der Reihe wie FIFA 2003, bei dem die Fallrückzieher noch von der Mittellinie aus ins Tor gehen, hat sich Linda nie groß mit der FIFA-Reihe beschäftigt. Sie vertreibt sich die Zeit lieber mit erzählerisch starken Singleplayer-Erfahrungen wie The Witcher 3 oder The Last of Us. Der trockene Simulations-Charakter der FIFA-Spiele schreckte sie bisher immer ab. Umso schöner ist es für Linda, dass die Reihe nun um einen Story-Modus bereichert wird

Nach rund zwölf Stunden schien ich mit meinem neuen Fähigkeiten-Repertoire perfekt für komplexere Herausforderungen wie FIFA 17 Ultimate Team gewappnet. Und mehr als eine Trainingseinheit, die auf Kommendes vorbereitet, ist The Journey für mich nicht. Ein dramatischer Plot, Charaktere und Zwischensequenzen wären allein dafür gar nicht nötig gewesen. Der Versuch, Fußball narrativ einzubetten und dramatisch zu inszenieren, weckte zwar erst mein Interesse für FIFA, erfüllt wurden meine Erwartungen an die Story letztendlich aber nicht. Und dabei weiß ich, dass Videospielgeschichten so viel mehr können, als bloße geistlose Nachgüsse altbekannter Hollywood-Erzählungen zu sein.

Erzählerische Oberflächlichkeit

Meine gemeinsame Reise mit Hunter verlief so, wie es sich ein Kind vorstellen würde, das sich in zehn Jahren selbst als Mittelstürmer im ausverkauften Stadion stehen sieht: Träumerisch, naiv und bar jeden Verständnisses von der Komplexität unserer Welt. Bis auf einen Rückschlag, der sich etwas kräftiger in die Magenkuhle bohrte als meine anfängliche Rolle als Bankdrückerin (ich wurde für einige Monate an Aston Villa ausgeliehen), schwebte ich wie auf einer Wolke zum großen Showdown. Natürlich gewann ich das FA Cup-Finale. Ein enttäuschter Kontrahent rücklings auf dem Rasen, gröhlender Gesang in der Umkleidekabine und die Vorstellung von der ganz großen Zukunft - die Karten richtig ausgespielt und Hunters Reise endet auf dem Gipfel der Premier League. Wie eine typische Underdog-wird-zum-Star-Erzählung, die wir bereits aus der Traumfabrik kennen.

Bereits zu Beginn wird klar, was für eine Art von Geschichte The Journey erzählen will: Kurz nach der Unterzeichnung seines Profivertrags sitzt Hunter hoffend und bangend auf seinem Bett, die Augen unermüdlich auf das Handy gerichtet. Vielleicht darf er mit seinem Club zur Saison-Vorbereitung in die Vereinigten Staaten fliegen, vielleicht aber auch nicht. Seine Mutter redet gut auf ihn ein. Er solle doch geduldig sein. Und dann klingelt das Telefon doch. Die Antwort ist positiv und Hunter feiert seinen Erfolg wie den Siegtreffer in einem Pokal-Finale. Die Wendungen sind vorhersehbar und in vielen Zwischensequenzen schwingt ein optimistischer Fußball-Pathos mit. Hinzu kommen stereotype Charaktere wie der arrogante Bully, der strenge Trainer oder der rückwärtsgewandte, skeptische Großvater, die der Handlung eine kitschige Seifenoper-Dramatik verleihen.

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Alex Hunter scheint alles zuzufliegen: Der Profivertrag, der erste Sponsoren-Deal mit Adidas, ein Fotoshooting für eine landesweite Plakat-Kampagne, das erste eigene modische Apartment. Eine glückliche Fügung. Ein Geschenk des Fußballgottes. Der Auserwählte reißt die Arme in die Luft, grinst über das ganze Gesicht. Und nie bekommen wir einen tiefen und vor allem glaubwürdigen Einblick in seine Gefühlswelt. Hunters Geschichte hat keinerlei Mehrwert. Sie lehrt nicht, bewegt nicht. Sie eckt nicht an, bringt nicht aus der Fassung.

The Journey 2.0

In The Journey fusionieren reale und virtuelle Welt. Der Story-Modus hat gerade deswegen das Potenzial, uns hinter die Kulissen einer Welt schauen zu lassen, die viele von uns nur aus der Zuschauerperspektive kennen. Das schnelle Geld, der Leistungsdruck, das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit - wie geht ein Spieler von nur 17 Jahren wirklich mit dem plötzlichen Erfolg und dem unverhofften Ruhm um? Was würde er tun, wenn die Erfolgswelle ein jähes Ende hat und er von Zukunftsängsten eingeholt wird? Was würde in ihm vorgehen, wenn er ein wichtiges Spiel wie das FA Cup-Finale verliert und von Fans ausgebuht und von den Medien beschimpft wird?

Die Beantwortung solcher Fragen verlangt zwangsläufig eine gewisse Tiefgründigkeit der Charaktere. Das betrifft vor allem den Hauptcharakter. Ich möchte nicht, dass er Erfolge und Niederlagen, Lob und Anfeindungen einfach so hinnimmt, sondern sich mit Geschehnissen ernsthaft auseinandersetzt und uns am knallharten Profi-Fußballgeschäft teilhaben lässt. Ich möchte mitjubeln, mitleiden, emotional nachvollziehen. Ich möchte eintauchen in eine Welt, deren Äußeres schimmert, aber deren Innerstes obskur und undurchsichtig für mich ist.

Wenn der Protagonist von The Journey 2.0 auf der Twitter nachempfundenen Social Media-Plattform als "Kind auf dem Platz" oder "größte Hoffnung des englischen Fußballs" bezeichnet wird, dann möchte ich wie in den Dialogen auch zwischen mehreren Antworten wählen können, die wiederum seinen Charakter formen. Antwortet er auf Social Media-Spott ebenso hämisch und entwickelt dadurch eine gewisse Selbstgefälligkeit? Und schlägt sich das wiederum auf dem Platz nieder? Nebencharaktere, die mehr sind als substanzlose Staffage, könnten nicht nur dabei helfen, den Charakter des Helden weiter zu formen. Sie könnten auch Kritik an moderne Entwicklungen des Profi-Fußballs äußern, die über ein einfaches "Früher war das aber anders!" hinausgeht.

Aber nicht nur erzählerisch sondern auch spielerisch muss sich ein zukünftiges The Journey weiterentwickeln: Hunters Werdegang fand zu schnell ein Ende. Erst in den Matches kurz vor dem großen Finale, als ich den Helden langfristig als Spieler im zentralen, offensiven Mittelfeld etablierte, konnte ich mich auf dem Rasen richtig austoben. Ich selbst war mit der Steuerung vertraut und Hunters Spielerwert hatte zu diesem Zeitpunkt die 75er-Marke längst geknackt. Gern hätte ich seine Attribute noch weiter ausgebaut und gern hätte ich ihn in der Champions League oder im Trikot der englischen Nationalmannschaft gegen den Ball treten sehen - aber daraus sollte nichts werden.

Ja, The Journey ist in der Tat seltsam. Die Geschichte um Hunter ärgerte mich. Sie ließ mich peinlich berührt auflachen und mit dem Kopf schütteln. Doch schaffte es der Modus, mich am Ball bleiben zu lassen, weil das Gameplay-Konzept eines Youngsters, der sich nach und nach zum Topspieler mausert, funktioniert und trotz aller erzählerischer Schwächen motiviert. FIFA 17: The Journey ist ein erster Versuch. Gänzlich daneben ging er schon mal nicht und gibt FIFA 18: The Journey gleich mehrere Vorlagen, die der Nachfolger endlich zu einem Volltreffer verwandeln könnte.

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