Anthropologie, Ethnologie und Videospiele haben eines gemeinsam: Sie unterteilen die Menschen gern in Jäger und Sammler. Während die einen bewaffnet in den Kampf ziehen, um Beute zu machen, bedienen die anderen sich auf eher friedlichere Art bei ihrer Umwelt, um das eigene Überleben zu sichern.
Wenn es um Videospiele geht, dann falle ich persönlich in beide Kategorien: Ich gehe auf die Jagd und sammle auf dem Weg alles ein, was nicht niet und nagelfest ist. In der Zombieapokalypse wäre ich die Person, die gebissen wird, weil sie ihren kostbaren Loot nicht zurücklassen will und alles dafür riskiert.
Diese Einstellung/Dummheit sorgt nicht nur für Augenrollen bei meinen Mitspielern, sondern hat mich auch schon mehr als einmal in Schwierigkeiten gebracht.
Das aktuellste Beispiel? Die Beta von Fallout 76.
Rae Grimm
@freakingmuse
Rae ist eine Sammlerin, wie sie im Buche steht. Kein Loot ist vor ihr sicher. Kein Schrott bleibt in Fallout 76 an seinem Ort, sondern wandert direkt, fast schon magnetisch in ihre Tasche. Auch fremdes Eigentum (wenn auch ungewollt).
Wer kein Kopfgeld will, muss lieb sein
Eigentlich hatte ich gar nicht vor, mich mit anderen Spielern anzulegen. Zumindest nicht in der Beta. PvP wollte ich erst nach dem Release von Fallout 76 ausprobieren.
Andere Spieler töten? Langweilig. Warum sollte ich mich auch mit anderen Ödland-Wanderern duellieren? Schließlich gibt es in Appalachia genug zu tun, zu jagen und zu sammeln, ohne auf PvP zurückgreifen zu müssen.
Hinzu kommt, dass ähnlich wie bei Koop-Partnerin Linda alle meine Begegnungen mit echten Spielern in der postapokalyptischen Welt sehr friedlich (sogar freundlich!) verlaufen sind.
Jede Auseinandersetzung während meiner Zeit in der Fallout 76-Beta wäre also keine Selbstverteidigung gewesen. Um PvP zu erleben, hätte ich bewusst Jagd auf andere machen müssen, nur um dann als Mörder, als Arschloch, als interessanter Content gebrandmarkt zu werden. Eine Seltenheit, die ich nur ein einziges Mal in meinen rund 15 Spielstunden im Appalachia gesehen habe.
Oder besser: Zwei Mal.
Denn durch einen dummen Vorfall musste ich am eigenen Leib erfahren, dass man auch ohne Mord ein Kopfgeld bekommen kann.
PvP ist kein Problem
Warum das Feature nicht so schlimm ist, wie ihr denkt
Vom Loot zum Leid
Wie bereits beschrieben, lebe ich für Loot. Ich habe mehr Zeit als ich zugeben sollte in Destinys berüchtigter Lootcave verbracht und bin bekannt für meine Liebe zu Survival-Spiele, in denen die passenden Ressourcen den Unterschied zwischen Leben und Sterben bilden.
Ganz so drastisch ist es in Fallout 76 zwar nicht, allerdings hat das Loot-reiche Spiel einige Survival-Aspekte, die den Sammeltrieb in mir außer Kontrolle geraten lassen - gerade dann, wenn ich während meines Ödlandstreifzugs in ressourcenreiche Gebiete wie Großstädte, Fabriken oder Flughäfen komme.
Letzterer war es dann, der mir zum Verhängnis wurde. Während Kollegin Linda Jagd auf Ghule und anderes Getier machte (eindeutig Jägerin), durchstreifte ich Lagerhallen auf der Suche nach Schrott-Schätzen.
Auf meinem Weg zum nächsten potenziellen Fund, begegnete ich einem anderen Spieler, der den örtlichen Workshop für sich beansprucht hatte und gerade dabei war, sein Lager auszubauen.
Er ignorierte mich, ich ignorierte ihn.
Stattdessen wanderte ich in die nächste Blechhütte, in der eine verschlossene Truhe auf mich wartete. Jackpot! Hinter Schlössern wartete nämlich nicht nur besserer Loot, ich konnte hier außerdem meine Schlösserknackfähigkeit trainieren, um später an NOCH besseren Loot zu kommen!
Fremdes Eigentum entwendet: Mit einer meiner wenigen Haarklammern knackte ich die Truhe und bediente mich als plötzlich ein Hinweis auf meinem Fernseher aufploppte. Fallout 76 informierte mich, dass es unter Strafe steht, das Eigentum anderer Spieler zu beschädigen oder entwenden.
Im ersten Moment tat ich diese Info als irrelevant ab, weil ich ja schließlich nicht vorhatte, irgendetwas mit dem Besitz anderer Ödland-Wanderer anzustellen. Allerdings gibt es bekanntlich einen Unterschied zwischen "nicht vorhaben" und "es trotzdem tun".
"Jetzt schieß mir doch einfach mit dem Gewehr ins Gesicht!"
Denn obwohl ich nicht geplant hatte, mich am Hab und Gut eines anderen zu vergreifen, hatte ich es offenbar doch getan. Versehentlich. Obwohl die Truhe nicht als solche gekennzeichnet war, gehörte sie dem Besitzer des Workshops, einfach weil sie sich in dessen unsichtbaren Radius befand.
Indem ich das Schloss aufgebrochen und mich bedient hatte, hatte ich ein Verbrechen begangen. Und wurde prompt dafür bestraft. Alle anderen Spieler verschwanden von meiner Karte während ich fortan als roter Kronkorken zusammen mit meinem Kopfgeld angezeigt wurde. Die Mal der Schande schwebte zudem über meinem Kopf, damit jeder gleich wusste, dass ich keine harmlose Ödlandbewohnerin war, sondern eine skrupellose Verbrecherin.
Ich geriet (ein wenig) in Panik.
Bis zu diesem Moment war ich davon ausgegangen, dass das einzige Verbrechen in Fallout 76 Mord ist, denn bisher hatte Bethesda nur von der Mörder-Mechanik gesprochen. Wenn es allen anderen so erging wie mir, dann würden sicher alle davon ausgehen, dass ich eine Killerin sei aka "interessanter Content". Ein Arschloch, auf das jeder Jagd machen kann.
Eigentlich kein Problem, wenn nicht die letzten Stunden der Beta angebrochen und ich nicht andere Pläne gehabt hätte. Diese drohten nun, von anderen Spielern bedroht zu werden und das konnte ich nicht zulassen.
Daher schmiedete ich einen - wenn auch etwas fragwürdigen - Plan.
Da die Schnellreise zu meinem Team dank meines kleinen Fauxpas deaktiviert war, verabredete ich mich mit Linda in unserem Camp. Dort schien es sicherer zu sein als in der Ödnis, wo überall die Gefahr anderer Spieler lauerte, denen ich weder mein Kopfgeld, noch meinen hart erkämpften Schrott gönnte.
Im Camp angekommen unterbreitete ich Linda meinen famosen Plan: Sie sollte mich töten, damit sie mein Kopfgeld erhielt und ich wieder unbeschwert leben und looten konnte.
Womit ich nicht gerechnet hatte, war Lindas unerwartete Loyalität. Diese kam mir in diesem Fall in die Quere, denn meine postapokalyptische Gefährtin weigerte sich schlicht, mich zu töten. Da verzweifelte Situationen aber bekanntlich nach verzweifelten Maßnahmen verlangen, half ich nach. Und griff Linda mit einer Machete an.
Aus Reflex schoss sie zurück und begann so ein unfreiwilliges Duell, in das sich leider auch noch meine im Camp errichteten Turrets einmischten, die Linda plötzlich als Feindin ansahen. Anstatt nur mich zu töten, kostete diese Aktion auch noch fast Linda das virtuelle Leben, die verständlich wenig begeistert über meine Looteskalation war.
Immerhin motivierte es sie dann doch, mir endlich ins Gesicht zu schießen. Sie bekam mein Kopfgeld und ich meine Freiheit.
Nichts gelernt
Normalerweise enden solche Geschichten ja mit irgendeiner Moral, aber auch wenn ich eine Ödland-Verbrecherin bin, eine Lügnerin bin ich nicht. Daher will ich ehrlich mit euch sein: Ich habe nichts daraus gelernt.
Ich habe weder gelernt, vorsichtiger zu sein und nicht versehentlich andere Mitspieler zu beklauen, noch bin ich genügsamer oder weniger Loot-süchtig geworden. Ich habe die restlichen Beta-Stunden von Fallout 76 komplett überladen damit verbracht, noch mehr Schrott zu sammeln. Alles, was ich nach dem Release von Fallout 76 anders machen werde, ist herausfinden, wie ich mein Kopfgeld loswerde, ohne mir von Freunden ins Gesicht schießen zu lassen.
Warum? Weil ich nicht anders kann. Im Herzen bin ich einfach eine Jägerin und eine Sammlerin. Oder wie Linda sagen würde: eine räudige Diebin.
Gigantischer Day One-Patch für Fallout 76
Das Update ist größer als das Spiel selbst
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