Deus Ex: Mankind Divided - Wie ich mir mein Abenteuer mit Adam Jensen kaputtgemacht habe

Der Wunsch, Deus Ex: Mankind Divided pazifistisch und ohne ausgelösten Alarm zu beenden, verleitete Linda zum ständigen Neustarten des letzten Speicherpunkts. Erst aber als sie die Konsequenzen ihres Handelns zu akzeptieren begann, konnte sie voll und ganz in die Spielwelt eintauchen.

Deus Ex: Mankind Divided - Launch-Trailer Video starten 1:32 Deus Ex: Mankind Divided - Launch-Trailer

Ich verhinderte den Tod eines Menschen. Nun, gestorben ist er schon, jedoch machte ich sein Ende wieder rückgängig – wie eine Göttin des Todes, die sich schlagartig umentscheidet und den Verschiedenen wieder zurück ins Reich der Lebenden führt. Die Entscheidung für meine Untat fiel ebenso kurz entschlossen. Der Grund war Wut. Ich war wütend über meine eigene Inkompetenz, so leise wie eine Katze und so unsichtbar wie ein Geist durch eine Sperrzone im Ghetto von Golem City zu schleichen. Dabei war es nur eine Zehenspitze Adam Jensens, die hinter einer Kommode hervorlugte und zwei schwer bewaffnete Sicherheitsleute alarmierte.

Es muss das vierte Mal gewesen sein, dass ich an dieser einen Stelle scheiterte und jetzt verlor ich endgültig die Fassung. Frustriert über meinen erneuten Fehltritt zog ich mein Maschinengewehr und streckte einen der Männer nieder. Wie ein nasser Sack fiel er zu Boden, während ich im pfeifenden Kugelhagel ein gleiches Schicksal zu verhindern versuchte. Der ausgelöste Alarm führte zu einem drastischen Entschluss: Diejenigen, die auf mich schießen, sollten gleiches erfahren. Doch lange hielt ich daran nicht fest. Unmittelbar nach dem Gefecht fand ich mich im Systemmenü wieder: Einen alten Spielstand laden.

Von der Last, alles im Griff haben zu wollen

So startete ich den Spielabschnitt von vorn. Wieder musste ich vorbei an den zwei Sicherheitsleuten, diesmal besonders leise und mit dem Finger weit weg vom Abzug. Denn mein Adam Jensen ist ein Pazifist. Ich habe ihm die Gesinnung des friedlichen Lieber-ins-Gesicht-Boxers bereits in Deus Ex: Human Revolution aufgedrückt. Der »Pacifist Run«, das Beenden des Spiels ohne eine Seele auf dem Gewissen zu haben, war auch der Weg, den Jensen im Nachfolger Deus Ex: Mankind Divided gehen sollte. Das bedeutete allerdings auch, dass ich Jensen durch jede Mission schicken wollte, ohne auch nur ein einziges Mal Alarm auszulösen. Ich schuf mir zwei Herausforderungen, die mich zunächst ungeahnt motivierten. Jeden Fehler bestrafte ich sofort mit dem Abbrechen des aktuellen Spielgeschehens. Jede gemeisterte Schleich-Passage belohnte ich indes mit dem unmittelbaren Druck auf die Speichern-Taste...

Das ist die faszinierende Eigenart eines Videospiels und ein im Vergleich zum wahren Leben angenehmer Vorzug. Scheitern wir, können wir in den meisten Fällen Geschehenes vergessen machen und noch einmal neu starten. Spiele wie Dark Souls oder Bloodborne sind zwei der wenigen Ausnahmen. Und doch können derlei Vorzüge zu einem destruktiven Laster werden, wenn die Macht, nicht nur das Bildschirmgeschehen, sondern auch dessen Anfang und Ende bestimmen zu können, überstrapaziert wird.

Während meiner Zeit mit Deus Ex: Mankind Divided war ich nicht nur Spielerin des Spiels, vielmehr war ich Puppenspielerin: Ich ließ die Fäden zu keiner Zeit los, sondern zog chaotisch an ihnen, bis Adam Jensens Schicksal dem Schicksal entsprach, das ich zuvor für ihn niedergeschrieben hatte. Die Art und Weise, wie ich Mankind Divided spielte, verkam bei fortschreitendem Story-Verlauf zu einem unerträglichen Stakkato. Speichern, scheitern, neu laden. Den Ladebalken grüßte ich irgendwann wie einen alten Bekannten, der als versinnbildlichte Trennlinie zwischen mir und dem Cyberpunk-Prag des Jahres 2029 stand. Ich war nie ganz Teil der Welt, ich schwebte über ihr.

Gescheiterte Immersion

Mit meinen lobenden Worten über Deus Ex: Mankind Divided gehe ich mit demTest von Tim konform: Neben dem intensiven Stealth-Gameplay und der spielerischen Freiheit, ist die dichte Atmosphäre der Spielwelt ein weiterer wesentlicher Punkt, weshalb das Stealth-RPG für mich bisher zu einem der besten AAA-Spiele des Jahres zählt. Cafès, Luxusgeschäfte und alte Bauten mit kunstvoll verzierten Fassaden auf der einen Seite; digitale Werbeschilder und Banksy-artiges Streetart, das den Unmut der unterdrückten »Optis« zum Ausdruck bringt, auf der anderen Seite - das fiktive Prag des Jahres 2029 ist ein Ort der Kontraste. Lebendig, düster und in sich geschlossen. Mein fixiertes spielerisches Bestreben aber verhinderte es, mit all meiner Aufmerksamkeit vollkommen in die faszinierende Cyberpunk-Welt von Deus Ex: Mankind Divided einzutauchen.

Deus Ex: Mankind Divided - Zukunftsvision 2029 Deus Ex: Mankind Divided - Zukunftsvision 2029

Gleiches gilt für die Spielfigur und den Protagonisten Adam Jensen. Es mag der Story von Mankind Divided geschuldet sein, dass der augmentierte Superagent wie ein unbeschriebenes Blatt durch Prag weht und dadurch jegliche Identifikation untersagt. Seine Geschichte wurde bereits in Human Revolution abgehandelt. Mitreißende Momente, die untrennbares Band zwischen Spieler und Hauptcharakter spannen, vermag Mankind Divided nicht zu erzählen. Und doch entfernte ich mich während meines Spieldurchlaufs nur noch weiter von ihm. Das stetige Zurücksetzen und Neuladen des Spiels raubte seinem Handeln – sofern es nicht in meine Agenda passte – die Endgültigkeit. Weder narrativ noch spielerisch konnte ich je eine feste Verbindung zum Agenten aufrechterhalten.

Der plärrende Alarm nach dem Auffliegen der Tarnung, ratternde Maschinengewehre und mittendrin ich als Jensen, der innerhalb weniger Sekunden seinen nächsten Schritt überlegen muss – Spielsituationen, in denen ich auf die Folgen meines spielerischen Tuns reagieren muss, ließ ich gar nicht erst aufkommen. Durch meine zwanghafte Flucht vor den Konsequenzen erfuhr ich nur begrenzt, wie es sich anfühlt, in der Haut eines Superagenten zu agieren. Ich nutzte Jensen als Werkzeug für das Erreichen meines Vorhabens, spielerische Identifikation erfuhr ich hingegen kaum.

Die leidige Trophäenjagd

Die Belohnungen für das Beenden von Mankind Divided ohne Kill und ohne das Auslösen des Alarms verstecken sich außerhalb des Spiels, im Trophäen-Menü meiner PS4. Ganz oben in der Liste schimmern sie betörend, die goldenen Trophäen mit den Titeln »Pacifist« und »Foxiest of the Hounds« als Abbilder der persönlichen Befriedigung und Beweisstücke meiner holden Taten. Errungenschaften wie die »Pacifist«-Trophäe, die nicht nur in Deus Ex sondern auch in einigen Metal Gear Solid-Teilen wie Metal Gear Solid 5: Ground Zeroes erspielt werden kann, sind keineswegs bedenklich, solange sie das eigentliche Spielerlebnis erweitern und es nicht vollständig ersetzen.

Linda Sprenger:
@lindalomaniac
Bereits im Vorgänger Deus Ex: Human Revolution absolvierte Linda erfolgreich den friedsamen Lösungsweg, jedoch erst nachdem sie das erste Mal die Credtis über den Bildschirm laufen sah. In Mankind Divided wollte sie gleich im ersten Spieldurchlauf den Versuch wagen, das Spiel nicht nur ohne Kill zu beenden, sondern auch auch vollkommen unentdeckt zu bleiben jedoch auf Kosten der Immersion und Identifikation mit dem Hauptcharakter. Ihre Erfahrung mit Mankind Divided zeigt einmal mehr: Trophäen und Erfolge sollten Ergänzungen sein, nicht aber die allererste Spielerfahrung trüben.

Problematisch wird das Streben nach derlei Herausforderungen, wenn es den Spielfluss unterbricht und dadurch den Eindruck des ganzheitlichen In-der-Welt-Seins im Keim erstickt. Nicht mehr Adam Jensen; nicht mehr das schwarz-goldene Cyberpunk-Prag mit seiner eindrucksvollen Kulisse und seinen verschieden gesinnten Bewohnern standen in meinem Fokus, sondern das hässlich-abstrakte Meta-Game.

Die Konsequenzen akzeptieren

Gegen Ende zwang mich das Spiel dazu, mein Vorhaben zu verwerfen und die Konsequenzen meines Handelns zu akzeptieren. Bei steigendem Schwierigkeitsgrad und erhöhter Anzahl der patrouillierenden Feinde, sank meine Geduld, wiederholt auf den Ladebalken zu warten, der mir nach einigen langen Sekunden den Neustart herbeizauberte. Erst als ich aufhörte, Fehltritte und deren Folgen mit einem Druck auf die Options-Taste zu verwischen, spürte ich den wahren Rausch von Jensens Missionen.

Natürlich versuchte ich weiterhin, niemanden zu töten und nicht entdeckt zu werden. Dadurch, dass ich nunmehr davon absah, kontinuierlich ins Pausen-Menü zu wechseln, fühlte sich jeder Schritt, jeder Handgriff, jedes Lauern, warten und kalkulieren ungleich intensiver an. Scheiterte ich bei einem Versuch, unentdeckt an einer Überwachungskamera vorbeizuschleichen, reagierte ich auf die Folge, wie Jensen als Agent auf diese Folgen reagieren würde - auch wenn er zum Selbstschutz auf nicht-pazifistische Methoden zurückgreifen muss. Ich ließ mich vom Spielfluss treiben, agierte als Teil der Welt. Ich war Adam Jensen. Die Körper getrennt von Bildschirm und Konsole, doch im Geiste eins.

Mittlerweile habe ich mit einem zweiten Durchlauf begonnen. Ich wünschte, es wäre mein erster gewesen.

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