In der Kampagne von Call of Duty Vanguard geht es unter anderem um die Gründung der ersten Spezialeinheiten im Zweiten Weltkrieg. Für die Mitglieder der titelgebenden Vanguard-Einheit haben sich die Entwickler von Sledgehammer von historische Soldat*innen inspirieren lassen. Eine von ihnen ist Ljudmila Michailowna Pawlitschenko mit dem Spitznamen “Lady Death”, im Spiel verkörpert durch die Soldatin Polina Petrova.
Spiele mit historischem Vorbild wandeln häufig auf einem schmalen Grat zwischen Realismus und Spielspaß und von einem Call of Duty erwarten wir ebensowenig komplette geschichtliche Genauigkeit wie von einem Assassins Creed. Ich habe für euch die Geschichte der Frau näher beleuchtet, die als Inspiration für Polina Petrova diente. Die junge Russin wird neben der Kampagne außerdem als Operator im Multiplayer von Vanguard sowie in Warzone auftreten.
Polina Petrova: Eine verzweifelte Krankenschwester greift zur Waffe
Ein Teil von Polinas Geschichte wurde schon beim gamescom-Reveal im August verraten. In dem knapp zehnminütigen Video sehen wir den verheerenden Angriff der Deutschen auf Stalingrad (heute Wolgograd) durch die Augen der jungen Krankenschwester Polina Petrova. Sie flieht vor den herannahenden Bombern und wird dabei verschüttet.
Als sie wieder zu sich kommt und von Schutt und Trümmern befreit, ist die Stadt in Teilen eingenommen, auf offener Straße werden ihre Mitbürger*innen gefangen und hingerichtet. In dieser vermeintlich ausweglosen Situation greift sie selbst zur Waffe und stellt sich erfolgreich den angreifenden Truppen.
Im Gameplay-Video könnt ihr euch diese Szenen anschauen.
Im weiteren Verlauf der Kampagne steigt Polina zur gefürchtetsten Scharfschützin Russlands auf und wird schließlich Teil der Spezialeinheit Vanguard, soviel ist zumindest dem bisher veröffentlichten Material zum Spiel zu entnehmen.
Sledgehammer stellt Polina als selbstlose junge Frau dar, die ihren Mitmenschen als Pflegerin helfen möchte und die erst im Angesicht der Bedrohung als letztes Mittel Gewalt anwendet. Sie ist ein Opfer der Kriegswirren, eine Heldin wider Willen. Diese Darstellung weicht definitiv von der Vorlage ab.
Aus dem Hörsaal an die Front: Ljudmila Michailowna Pawlitschenko
Pawlitschenko, die als Vorlage für Polina Petrova dient, kam als ethnische Russin in der Ukraine auf die Welt. Im Alter von 14 Jahren zog sie mit ihrer Familie nach Kiew, wo sie einem Schützenverein beitrat und eine Ausbildung zur Scharfschützin absolvierte. Im Umgang mit Schusswaffen war sie also schon in jungen Jahren geübt.
Im Sommer 1941 startete das nationalsozialistische Deutschland den Überfall auf die Sowjetunion, der als “Unternehmen Barbarossa” in die Geschichte einging. Pawlitschenko, zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alt, studierte Geschichtswissenschaften an der Universität von Kiew. Wie viele andere Frauen meldete sie sich freiwillig an die Front.
Tatsächlich wurden Frauen auch in der Sowjetunion vornehmlich in unterstützenden Positionen eingesetzt, etwa als Krankenschwestern. Pawlitschenko lehnte dies aber ab und wurde stattdessen eine der knapp 2000 russischen Scharfschützinnen. Wenn ihr mehr über die Rolle der Frauen im zweiten Weltkrieg wissen möchtet, könnt ihr das in diesem Artikel nachlesen:
"Lady Death" - gefürchtet und gefeiert
Pawlitschenkos erste Opfer waren zwei Soldaten, die sie bei einer Exekution mit einem Gewehr erschoss. Danach war sie als vollständiges Mitglied der Armee akzeptiert. Zuerst wurde ihre Einheit zur Verteidigung der ukrainischen Stadt Odessa eingesetzt. In nur zwei Monaten sammelte sie 187 bestätigte Abschüsse. Nachdem die Stadt gefallen war, wurde sie nach Sewastopol an der Schwarzmeerküste versetzt.
In Sewastopol fügte sie ihrer Abschussliste weitere 70 Einträge hinzu. Insgesamt beläuft sich ihre Statistik auf 309 bestätigte Abschüsse, womit sie tatsächlich die “erfolgreichste” Scharfschützin der Sowjetunion wurde. Ihre Effizienz verhalf ihr zu einiger Berühmtheit, sowohl auf deutscher, als auch auf sowjetischer Seite. Sie wurde gefürchtet und gejagt im einen, aber bewundert im anderen Lager.
In der Zeit in Sewastopol heiratete Pawlitschenko einen russischen Soldaten, der aber noch im selben Jahr sein Leben verlor. Sie selbst wurde insgesamt dreimal verwundet, kehrte aber jeweils ins Kriegsgeschehen zurück. Im Juni 1942 wurde die Scharfschützin von der Front abgezogen. Die Gefahr, Pawlitschenko als heldenhaftes Symbol für die eigenen Soldat*innen zu verlieren, sowie die Angst vor der Denunziation der Heldin durch die Nationalsozialisten im Falle ihrer Tötung, bewog die sowjetische Führung zu diesem Schritt.
Als Ende August 1942 die letztlich wegweisende Schlacht um Stalingrad begann, war Pawlitschenko schon nicht mehr im Einsatz. Sie befand sich zu diesem Zeitpunkt auf einer PR-Reise durch Nordamerika. Durch die Geschichten der Heldin und einiger Landsleute sollten die Amerikaner zum Kriegseintritt bewegt werden. Auf dieser Reise schloss Pawlitschenko auch eine Freundschaft zur damaligen First Lady Eleanor Roosevelt.
Die Amerikaner gaben ihr den Spitznamen “Lady Death” und auch in Russland wurde sie als Heldin gefeiert. Ihr Abbild wurde insgesamt zweimal auf sowjetische Briefmarken gedruckt, man verlieh ihr mehrere Orden und beförderte sie in den Majorsrang. Bis zu ihrem Tod 1974 arbeitete sie als Historikerin und engagierte sich für Kriegsveteran*innen.
Eine Geschichte, die bis heute beschäftigt
Die Geschichte von Ljudmila Michailowna Pawlitschenko, der “Lady Death” der Sowjetunion bietet jede Menge Erzählstoff. Eine historisch akkurate Umsetzung ist in Call of Duty Vanguard in allen Feinheiten allerdings nicht zu erwarten, was schon am anderen Namen der Protagonistin im Spiel erkennbar ist. An der Schlacht um Stalingrad nahm Pawlitschenko etwa gar nicht mehr teil. Sie war auch keine Krankenschwester, die unverhofft in die Wirren des Kriegs geraten ist. Pawlitschenko war hervorragend ausgebildet und meldete sich freiwillig für den Einsatz.
Sledgehammer betont selbst, dass als Inspiration für die Figur von Polina Petrova mehrere sowjetische Soldatinnen dienten und tatsächlich gibt es noch viele weitere Frauen, die für ihre Heldentaten in der Sowjetunion ausgezeichnet wurden. So etwa Jewgenija Filippowna Derjugina, die als Sanitäterin ebenfalls in Sewastopol über 100 verwundete Kamerad*innen aus den Kämpfen gezogen haben soll.
Insgesamt ist es aber sehr lobenswert, dass Sledgehammer auch die Soldatinnen der Sowjetunion im Spiel referenziert. Denn bei all den männlichen Protagonisten wird schnell vergessen, dass auch Frauen gekämpft und in vielen Fällen ihr Leben gelassen haben. Wer sich für eine an den historischen Fakten orientierte Darstellung des Lebens von Ljudmila Michailowna Pawlitschenko interessiert, sollte sich den 2015 erschienenen ukrainisch-russischen Film "Red Sniper - Die Todesschützin" ansehen.
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