Die Farm von Familie Lee ist ein Ort der Idylle. Ganz im Nordwesten der (wieder)vereinigten Staaten gelegen, kann man dem Getreide quasi beim Wachsen zuhören. Doch plötzlich fallen gleich zwei Bahnhöfe vom Himmel, schlagen nördlich und südlich der Farm auf, kurz darauf ploppen Gleise aus dem Boden. Während die Farmer sich noch verwundert die Augen reiben, ertönt ohrenbetäubendes Getöse, zwei Dampfwolken rasen heran, darunter eine Columbia 2-4-2 und eine Old Maude 0-6-6-0 - das war's dann mit der Idylle ...
Beim Test von Railway Empire passiert es immer wieder, dass eben noch abgelegene Farmen, Baumwollfelder oder Obstplantagen plötzlich heiß begehrt sind. Denn im Eisenbahnspiel von Gaming Minds dreht sich alles um die Eroberung der USA: Wir versorgen die boomenden Städte mit Rohstoffen und Fertigwaren, fahren Passagiere und Post durch die Wildnis. Eben diese Wildnis drängen wir dabei immer weiter zurück, wir spannen Brücken über die einst unpassierbaren Flüsse, buddeln Tunnel durch die Rocky Mountains, bauen sogar selber Fabriken oder öffentliche Gebäude in den Städten. Railway Empire deckt die Jahre von 1830 bis 1930 ab, also von den Anfängen an der Ostküste über die transkontinentalen Strecken durch die großen Ebenen und über Gebirge bis hin zur Westküste, inklusive Goldrausch. In den späten Jahren helfen wir sogar unserem größten Gegner und Totengräber: der Automobilindustrie.
Konkurrenz belebt das Fahrgeschäft
Aber warum hat Familie Lee plötzlich zwei Bahnhöfe vor der Nase? Ganz einfach: Weil ihr Getreide dermaßen wichtig für die Brauereien der Städte Redding und Eugene ist, dass sich gleich zwei Eisenbahnunternehmen darum kloppen. Nämlich das KI-gesteuerte American Central und unser jung-dynamisches Westphalian Lightning. Dabei entsteht ein Verkehrsknotenpunkt, der dem Wort "Knoten" alle Ehre macht: Rund um den Bahnhof kreuzen sich die Konkurrenzgleise gleich mehrfach über langgezogene Brücken, ein sauteurer Tunnel verkürzt unseren Weg nach Eugene. Unser Mitbewerber schickt seine Züge dafür im schnelleren Takt auf Kornjagd, weil "seine" Städte näher an der begehrten Farm liegen.
Prima: Auch solche komplexeren Gleiskonstruktionen können wir leicht anlegen, weil der Baumodus von Railway Empire richtig gut gelungen ist. Steigungen und Kosten werden direkt angezeigt; so lässt sich zum Beispiel schnell ausprobieren, ob unsere Loks eine Steigung packen, oder ob wir lieber den teuren Tunnel buddeln. Erst wenn wir zufrieden sind und den Bau bestätigen, saugt es die Dollars vom Konto. Gleise, Bahnhöfe und so weiter sind übrigens sofort fertig, ohne Bauzeit. Vor größeren Bauprojekten solltet ihr allerdings speichern, denn es gibt keine Undo-Funktion - was allerdings nicht negativ ins Gewicht fällt, weil man vor dem Bau ja noch alles feintunen kann und erst am Schluss seinen Segen gibt.
Ausweichmanöver Omega
Railway Empire bietet vorbildlich viele Einstellmöglichkeiten für Kampagne und Szenarios. Allen voran, wie realistisch der Zugverkehr denn bitte sein soll. Im einfachen Modus fahren entgegenkommende Züge auf einer eingleisigen Strecke geistermäßig durcheinander durch. Im komplexen Modus müssen wir entweder gleich Doppelgleise verbauen - was allerdings dezent umständlich ist, weil wir wirklich dieselbe Strecke zweimal anlegen müssen. Oder aber wir fügen Ausweichgleise ein, also ein kurzes zweispuriges Stück mit zwei Weichen und Richtungssignalen, sodass der eine Zug hier warten kann, während der entgegenkommende vorbeidampft. Gerade auf langen oder topografisch anspruchsvollen Strecken haben wir im Test immer Ausweichgleise angelegt, weil Doppelgleise schlicht zu teuer sind. An der flachen Ostküste mit ihren dicht beieinanderliegenden Städten sind die Doppelgleise hingegen die bessere Alternative.
Das Optimieren der Strecken ist generell ein großer Spaßfaktor bei Railway Empire. Mit Signalen teilen wir längere Strecken in kleinere Segmente, denn die etwas übervorsichtigen Züge trauen sich erst dann in den nächsten Abschnitt, wenn vor ihnen wirklich alles frei ist - sie würden also in San Francisco warten, bis der Zug vor ihnen im rund 380 Meilen entfernten Los Angeles angekommen ist, sicher ist sicher. Ach ja, Versorgungstürme müssen wir in sinnvollen Abständen auch noch aufstellen, damit die Loks Wasser, Öl und Sand (zum Verbessern der Traktion bei Regen oder Steigungen) aufnehmen können.
Mit harten Bandagen
Unsere bis zu drei KI-Gegner bauen ganz schön pfiffige sowie realistische Strecken und schnappen uns gern mal Flachlandtrassen weg, sodass wir ins anspruchsvollere und somit teurere Gelände ausweichen müssen. Auch in "unseren" Städten machen sie sich gerne breit und setzen einfach ihren eigenen Bahnhof rein. Allerdings schummeln sie beim Befahren ihrer Strecken, im Gegensatz zu uns dürfen sie beispielsweise auch mehrere Züge direkt hintereinander fahren lassen, zum Ausgleich rollen die dann aber langsamer. Trotzdem sind die KI-Gegner glaubwürdig und beleben das Geschäft.
Jeder von ihnen geht ein bisschen anders vor, Don Lorenzo zum Beispiel setzt gerne Saboteure auf unsere Züge an oder verleumdet uns in der Presse, sodass potentielle Passagiere unser Unternehmen meiden. Immer wieder kommentieren die KI-Konkurrenten hörbar unsere Taten - wenn wir eine neue Lok erforschen, äußert sich Don Lorenzo hämisch über unseren "Schrotthaufen". Und wenn wir dicht an Beatrix von Pomps Gleise bauen, beschwert die sich naserümpfend. Im Gegenzug können wir ebenfalls Banditen auf Züge ansetzen oder Rufmord betreiben, wobei Gewaltaktionen nicht wirklich zu sehen sind, sondern lediglich als Icons an den betroffenen Zügen und Stationen haften.
Während solche Aktionen vor allem für Atmosphäre sorgen, aber nicht spielentscheidend sind, wird ein Aktienkrieg schon bedrohlicher. Alle Unternehmen können nämlich Aktien ihrer Konkurrenten aufkaufen - nur keine eigenen. Sobald ein Spieler die Hälfte der Firmenanteile erworben hat, darf er den Rest mit einem Schlag kaufen. Das kostet zwar Riesensummen, verleibt ihm aber das übernommene Unternehmen mit allen Gleisen, Bahnhöfen, Zügen und sonstigen Besitztümern ein. Gegen so eine feindliche Übernahme hilft nur eins: Immer schön expandieren und konstant Gewinne einfahren, damit der eigene Kurs ordentlich steigt und ein Aufkauf unbezahlbar ist.
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