Wie ist das eigentlich so? Spiele sind ideal dafür, uns spannende Fragen so zu beantworten, wie es in der Realität nicht ohne weiteres möglich ist. Wie fühlt man sich als mutiger Held? Wir starten Skyrim und gehen als schwertschwingender Kämpfer auf Drachenjagd. Und wie fühlt sich ein Grenzbeamter? Mit einem Kloß im Hals wühlen wir uns die Dokumente von Papers, Please.
Und wie ist es eigentlich, blind zu sein? Diese ebenso interessante wie beängstigende Frage wollen ehemalige Bioshock- und Dead-Space-Entwickler in ihrem Horror-Adventure Perception beantworten. Wir spielen die blinde Cassie, die das Geheimnis eines verfluchten Hauses ergründen will. Auf dem Papier klingt das hochgradig spannend und faszinierend. Im Test von Perception wird allerdings ausgerechnet die geniale Idee der Blindheit zum größten Stolperstein.
Schau, ein Geräusch!
Zumindest am Anfang sind wir aber noch fasziniert: Eingangs erinnert Perception deutlich an den Indie-Hit Gone Home mit seinem großen, leeren Haus, das wir erkunden sollen. Unsere blinde Heldin Cassie kehrt allerdings nicht nach Hause zurück, sondern hat es sich in den Kopf gesetzt, ihren Albträumen auf den Grund zu gehen, in denen das Spukhaus aus irgendeinem Grund immer wieder auftaucht.
Als Blinde können wir aber natürlich nicht einfach rumspazieren, wie wir wollen. Wir müssen uns beim Erkunden auf unser Gehör verlassen. Cassies Blindheit nimmt spielerisch und erzählerisch das ganze Spiel über eine große Rolle ein. Das wird schon durch den Look deutlich: Wir sehen nur, was wir hören und fühlen können. Wenn wir die Treppen zum Haus hinaufsteigen, färbt das Heulen des Windes alles in einem monochromen Blau.
Im dunklen Haus wiederum spendet uns die Wärme der Heizungen oder der Klang von Musik Licht, ganz verloren sind wir aber auch in völliger Dunkelheit nicht. Hier können wir mit unserem Blindenstock eine Art Echolot erzeugen, der unsere Umgebung für wenige Augenblicke sichtbar macht. Allerdings bleibt alles immer in diesem einen Blauton, der ein wenig an ein Foto-Negativ erinnert. Was anfangs noch sehr stimmungsvoll wirkt, nutzt sich so mit der Zeit zumindest optisch deutlich ab.
Ganz anders die Sound-Effekte: Die werden so genial eingesetzt, dass sie uns auch noch gegen Ende mal wohlige Schauer über den Rücken jagen. Trifft unser Echolot beispielsweise auf einen Holztisch, hört sich das deutlich anders an als ein Objekt aus Metall. Hinzu kommen unheimliche Geräusche und Dinge, die plötzlich in unserem Augenwinkel auftauchen und wieder verschwinden. Das ruft uns immer wieder ins Gedächtnis, dass Perception kein Friede-Freude-Eierkuchen-Erkundungs-Adventure ist, sondern sich selbst zur Gattung der Horrorspiele zählt und sorgt so permanent für Anspannung.
Ein Hauch von Bioshock
Umso erfrischender ist Cassie dafür als toughe Heldin, die das Geschehen regelmäßig kommentiert und aber auch mal einen flotten Spruch auf den Lippen hat, ohne dass es aufgesetzt wird. Wird es brenzlig, ist Cassies Angst meistens deutlich spürbar. Auch als Blinde wirkt sie glaubwürdig, beispielsweise wenn sie in einer Erinnerung als Kind darum fleht, ihre Spieluhr zu behalten, weil sie sich ohne ihren vertrauten Klang im neuen, dunklen Zuhause unwohl fühlt. Cassies Kommentare lassen sich auch deaktivieren, dann verpasst man aber einen der Hauptreize von Perception.
Die Geschichte des Hauses wird in vier Abschnitten erzählt, die alle mit Objekten aus Cassies Albträumen zu tun haben. Jeder Gegenstand steht für ein Kapitel, eine Geschichte und eine bestimmte Zeit, in der jemand im Haus gelebt hat.
Durch die verschiedenen Zeitebenen verändert sich die Umgebung immer wieder und schafft es trotz der einheitlichen Optik für Abwechslung zu sorgen. Zudem liegt durch Cassies Albträume über allem ein surrealer Touch, der das Haus immer wieder verändert - mal tauchen plötzlich widerlich schleimige Motten-Puppen im Haus auf, mal ein irritierend fröhlicher Rummelplatz.
Jede kleine Episode ist für sich abgeschlossen und erzählt eine Tragödie, die sich im Haus ereignet hat. So begleiten wir zum Beispiel das Ehepaar Felicia und Richard in der näheren Vergangenheit oder den Tüftler Bosch Ende des 19. Jahrhunderts. Seine Geschichte als Puppenbauer ist besonders schauderhaft und erinnert an mehr als einer Stelle an Bioshock mit seinen Little Sisters - kein Wunder, deren Designer ist Teil des Entwicklerteams von Perception.
Hexenjagd im Alltag
Passend zur Horror-Stimmung erscheinen uns die ehemaligen Bewohner in kurzen Sequenzen als schemenhafte Geister, die aber harmlos sind. Da das typische Dokumente sammeln für eine Blinde eher schwierig ist, gibt es zudem Audiofiles, die optisch an die Zeit angepasst sind (wie stimmungsvolle Bioshock-Grammophone in der Bosch-Geschichte) und sogenannte "Touchstones".
Fasst Cassie sie an, können wir die Erinnerungen spüren, die die Figuren mit ihnen verbinden. Dadurch, dass wir davon auch viel verpassen können und die Files nicht unbedingt in der richtigen Reihenfolge finden, wirken die Erzählungen leider oft etwas konfus, auch wenn man die grobe Handlung mitbekommt.
Das Spiel basiert zwar auf einer realen Begebenheit, wirklich deutlich wird das aber erst am Ende, als Susannah Martin Erwähnung findet. Sie wurde 1692 im Rahmen der Hexenprozesse in Salem für schuldig erklärt und hingerichtet. Ihr Schicksal steht in den anderen Geschichten stellvertretend dafür, dass alle Figuren missverstanden und ausgegrenzt wurden und sich dadurch ihr tragisches Schicksal besiegelt hat. Eine schöne Metapher dafür, was auch Menschen mit einer Behinderung wie Cassies Blindheit auch heute noch manchmal durchmachen müssen. Damit wirkt die Geschichte trotz ihrer Verworrenheit in sich schlüssig.
Blinde Gegner
Schlüssig auf dem Papier wirkt auch das Spieldesign: Fähigkeiten wie der Echolot oder Mechaniken wie das Delphi-Programm machen die Blindheit für den Spieler greifbar und lebendig. Allerdings muss Perception immer wieder Kompromisse eingehen, um dabei als Spiel zu funktionieren und macht seine innovativen Features damit ein Stück weit überflüssig.
So können wir unseren Echolot unbegrenzt einsetzen. Das heißt, dass man als Spieler permanent auf den Echolot-Knopf hämmert und damit die ganze Zeit über zumindest mit eingeschränktem Sichtfeld normal sehen kann. Verhindern soll das eigentlich die Präsenz, ein Geisterwesen aus unseren Albträumen, das von Geräuschen angelockt wird und uns jagt.
Dann färbt sich die Umgebung rot und wir müssen uns verstecken, sonst sind wir ohne Verteidigungsmöglichkeit sofort tot. Wir haben das Echolot im Test aber fast permanent eingesetzt, sind teilweise sogar gesprintet statt geschlichen und haben kurz gesagt eine Menge Radau veranstaltet - wirklich oft rückte uns die Präsenz aber trotzdem nicht auf die Pelle. Und wenn doch, reicht ein beherzter Hüpfer in ein nahes Versteck, im Gegensatz zu Spielen wie Outlast 2 kann das Geisterwesen uns hier nämlich nicht aufspüren. Wer Perception also wirklich "blind" erleben möchte, benötigt viel Selbstdisziplin - das Spiel selbst fordert es kaum ein, von einem Achievement einmal abgesehen.
Später kommt mit unheimlichen kleinen Porzellanpuppen samt Pistole noch ein zweiter Gegnertyp hinzu, der zumindest optisch überzeugt. Die bewaffneten jungen Damen sind aber ebenso leicht zu überlisten, indem man an ihnen vorbei sprintet und zudem an Schienen gebunden, die sie berechenbar machen. Wirklich lästig wird es nur, wenn wir doch mal erwischt werden: Aus unerfindlichen Gründen liegen die Rücksetzpunkte nach dem Ableben meist deutlich weiter zurück als der letzte Speicherpunkt. Wer also nach dem Tod nicht weiterspielt, sondern ins Hauptmenü wechselt und neulädt, der erspart sich viel Latscherei.
Falsch verbunden?
Allerdings stellen die Feinde generell keine ernsthafte Bedrohung dar. Das schadet der Gruselstimmung beträchtlich. Zumal Verstecke und Türen leuchtend grün markiert sind, wir können sie also nicht einmal in Panik wirklich übersehen. Irgendwann haben wir so schlichtweg keine Angst mehr und folgen zielsicher unseren Aufgaben. Perception spielt sich hier eher wie ein normales Adventure: Wir können mit Hilfe unseres "sechsten Sinns" immer das nächste Ziel markieren. Um es zu erreichen, müssen wir dann in der Regel erst einige Objekte finden oder kleine Rätsel lösen, um Türen zu öffnen. Nichts davon ist sonderlich komplex, da wir immer wissen, wo wir hinmüssen, erzeugt es aber durchaus einen schönen Spielfluss.
Besagter Delphi-Scan bringt zudem noch einmal wunderbar Cassies Blindheit ins Spiel ein: Da wir nicht lesen können, lassen wir uns Schriftstücke von unserer Delphi-App auf dem Smartphone vorlesen. Später können wir dann mit Nick sogar jemanden hinzurufen, der uns das erklärt, was die App nicht von allein versteht. Die Dialoge mit Nick sind ähnlich erfrischend wie die mit unserem Freund Serge, der hin und wieder anruft und erinnern uns trotz aller verrückten Begebenheiten daran, dass wir uns irgendwie immer noch in der Realität befinden - ein wenig schockierter könnten die beiden allerdings reagieren, wenn man das gezeigte Gruselkabinett bedenkt. Auch, wenn sich Perception mit Splatter eher zurückhält (logisch, wir sehen es ja eh nicht), immerhin ist Nick sogar ein völlig Fremder.
Die vier bis fünf Stunden Spielzeit fühlen sich genau richtig an, da weder Gameplay, noch Story mehr getragen hätten. Lediglich das Ende wirkt etwas abrupt, weil ein richtiger Höhepunkt fehlt. Die Geschichte läuft mit einer Enthüllung aus, die zumindest uns schon relativ früh im Spiel durch vereinzelte Hinweise klar wurde, was dem Moment etwas von seiner Dramatik nimmt.
Insgesamt fühlt sich Perception zwar rund an, aber nicht so genial, wie es mit seiner innovativen Grundidee hätte sein können. Statt das Ganze in ein Horrorszenario zu verpacken, hätte es dem Spiel gutgetan, sich ganz auf die Blindheit und ihre Wirkung zu konzentrieren. Aktuell lässt sie sich nämlich viel zu leicht aushebeln, was sich einfach falsch anfühlt - auch wenn es schön wäre, wenn Blinde mit einem Tastendruck ganz einfach wieder sehen könnten.
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