Drawn to Death erinnert mich an mein erstes Live-Konzert, das ich je besucht habe: Laute Musik, euphorische Stimmung, ein bisschen Chaos und zwischen den Songs ein kantiger Spruch von der Bühne, über den alle lachen müssen. Irgendwann aber war die Band so betrunken gewesen, dass kaum noch ein Lied fehlerfrei gespielt wurde, die Witzeleien immer unangenehmer Pointen verteilten und das Publikum zunehmend genervter reagierte.
Ganz ähnlich kippte auch bei mir die Stimmung, nachdem ich die ersten Matches in Drawn to Death hinter mir hatte: Eine Mischung aus Quake, klassischen Nintendo-Spielen und der MTV-Popkultur sollte dieser Shooter werden, wie Chef-Entwickler und God-of-War-Schöpfer David Jaffe in einem Video-Interview verriet. Doch es zeigt sich recht bald, dass sich das Entwicklerteam beim Abmischen dieser ungewöhnlichen Zutaten ein wenig verschätzt hat.
Der erste Eindruck sitzt
Drawn to Death ist diesen Monat für PS Plus-Besitzer gratis erhältlich, würde aber auch ohne das dicke gelbe Kreuz im PSN-Store wie ein bunter Hund auffallen: Der Multiplayer-Shooter ist komplett handgezeichnet und taucht unseren Bildschirm in einen lebendig gewordenen Kritzelblock. Dieser gehört einem Highschool-Teenager, der mit seinen Zeichnungen dem langweiligen Unterricht entfliehen will und mich Strich um Strich tiefer in seine Phantasiewelt hineinzieht.
Mehr Story hat Drawn to Death dann auch schon nicht mehr zu bieten und stellt mir stattdessen eine Kröte zur Seite, die mir direkt einen Vorgeschmack auf den Humor des Spiels gibt: Während aus der geöffneten Bauchdecke des Wirbeltiers die inneren Organe hervorquellen, erklärt mir das Amphib überaus schlecht gelaunt und mit derben Schimpfworten garniert, dass ich gefälligst erst einmal das Tutorial hinter uns bringen soll.
Geflucht, getan und so erhalten ich Zugang zu einem der frühen - und leider auch wenigen - Highlights des Spiels: In den kommenden 20 Minuten werden wir durch eine Reihe von Leveln geführt, die uns die Grundmechaniken des Shooters beibringen und mehr als einmal gelungen pointierte Witzeleien zwischen den Tutorial-Schildern verstecken. Der erste Eindruck sitzt!
Nachdem wir auch die letzte Übungseinheit hinter uns gebracht haben, fühlen wir uns endlich für das Herz des Spiels gewappnet: den Multiplayer. Und ausgerechnet hier beginnen auch die ersten Probleme.
Außen hui, innen "Huch, was passiert hier?"
Bevor ich allerdings auf die Bleistift-Schlachtfelder stürmen darf, muss ich mich zunächst für einen der sechs verfügbaren Spielfiguren entscheiden. Das Design dieser Charaktere ist herrlich durchgeknallt und reicht von einer Kettensäge schwingenden Maus zu einem Hai in Bikini.
Jeder dieser Charaktere verfügt neben dem klassischen Dauerfeuer aus Primär- und Sekundärwaffe außerdem über zwei Spezialattacken, die ganz besonders verheerend und spektakulär sind: So kann beispielsweise der Veteran eine bis an die Zähne bewaffnete Kampfdrohne herbeirufen, während der Punker so laut in die Gitarre haut, dass umstehenden Gegnern nach wenigen Sekunden die Köpfe explodieren.
Haben ich mich für einen Kämpfer entschieden, bleibt nur noch die Qual der Wahl, eine handvoll Waffen aus dem reichhaltigen Inventar auszuwählen, das von Medizinbällen über Fäkalien werfende Affen bis hin zur klassischen Schrotflinte reicht. Detaillierte Angaben, wie viel Schaden die einzelnen Waffen anrichten, suchen Shooter-Fans allerdings vergeblich - bei einem kompetitiven Online-Spiel eigentlich unverzichtbar.
Nun aber endlich auf's Schlachtfeld, wo mir ziemlich schnell klar wird: Ja, Drawn to Death reicht durchaus an die Geschwindigkeit der klassischen Quake-Shooter heran, ist allerdings viel, viel schwerer zu lesen und legt deutlich spürbar mehr Wert auf den Style, als auf den Orientierungssinn der Spieler: Die handgezeichneten Arenen im Bleistiftskizzen-Look sind zwar unheimlich hübsch anzusehen, verwirren allerdings während der schnellen Feuergefechte und bringen mein Augenpaar, das eigentlich schon vor Jahren von dem ähnlich hektischen Unreal Tournament trainiert wurde, regelmäßig an den Rand einer visuellen Nahtoderfahrung. Mit Taktik oder gar Übersicht hat das nur selten was zu tun.
Auch das Versprechen, den Entdeckergeist der Spieler ganz ähnlich wie in klassischen Nintendo-Spielen kitzeln und belohnen zu wollen, können die Entwickler nur bedingt halten: Zwar sind in den Leveln zahlreiche Easter Eggs und Geheimwaffen versteckt, die allesamt unterschiedlich aktiviert werden müssen. Doch in keinem der chaotischen, schnellen Gefechte ist es mir bisher gelungen, auch nur annähernd Zeit für einen Abenteuerausflug in die Geheimnisse des Spiels freizuschaufeln. Wer herumsteht und Level-Geheimnisse lüften will, der stirbt. So einfach, aber auch frustrierend ist das in der Welt von Drawn to Death.
Keine Zeit zum Luft holen
Wenn Drawn to Death schon nicht das Versprechen einer spielerischen Quake- und Nintendo-Hommage vollständig einlösen kann, so holt es sich immerhin die volle Punktzahl in Sachen Look, Präsentation und Atmosphäre, oder?
Das dachte ich anfangs auch: Das Design ist fantastisch und scheint einem Comic aus der Hochzeit der MTV-Ära entsprungen zu sein - inklusive des derben Humors. Doch ausgerechnet die vielen vermeintlich lockeren Sprüche und die rauhe Sprache der Kommentatoren und Menü-Helferlein haben mir nach einiger Zeit den letzten Nerv geraubt.
Sparsame Spieler haben das Nachsehen
Neben dem Humor hat mich besonders die Überpräsenz der Mikrotransaktionen gerade in den ersten Spielstunden ordentlich genervt: Ein ausführlicher Rundgang durch den Ingame-Shop ist nicht nur Teil des Tutorials, sondern auch die freischaltbaren Pakete selbst sind eine echte Gefahr für das ohnehin wackelige Balancing. Wer will, kann neben Skins und Taunts für rund 10 Euro auch alle Waffen auf einen Schlag freischalten und hat damit einen spürbaren Vorteil gegenüber den Spielern, die lieber sparsam sind und auf normalem Weg über das Level Up-System das Schießeisen-Inventar vergrößern wollen.
Drawn to Death scheint niemals stillzustehen: In der Lobby zeigen sich wartende Spieler Memes mit teils geschmacklosen Motiven wie Fäkalangriffen auf Frauen, eine hundertfach verzerrte Off-Stimme erzählt von irgendeiner Schlägerei auf dem Schulhof und während der Matches kann ich mich vor verwirrenden Einblendungen und Farbexplosionen kaum retten. Nein, in diesem atemlosen Shooter halte ich es nicht länger als drei, vier Matches am Stück aus. Und bevor ich mir im Hauptmenü eine weitere Reklame-Erinnerung für den Ingame-Shop anhören muss, mache ich lieber ganz aus.
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