"40 Stunden sind Nichts!" - Sind Videospiele durch Open Worlds zu groß geworden?

Früher waren Videospiele, die 50 Stunden gedauert haben schon fast unendlich lang. Heute ist alles unter 100 Stunden schon fast Geldverschwendung und das liegt vor allem an den Open Worlds dieser Welt.

Etwa 40 Stunden brauchen wir in den Jagdgründen von Horizon: Dawn um ans Ende zu gelangen. Das ist heutzutage für viele Spieler schon zu wenig. Etwa 40 Stunden brauchen wir in den Jagdgründen von Horizon: Dawn um ans Ende zu gelangen. Das ist heutzutage für viele Spieler schon zu wenig.

Wer Videospiele mag und gern verschiedenste Titel ausprobiert, muss viel Zeit mitbringen. Zwar können wir uns auch stundenlang in Filmen, Serien, Büchern und Musik verlieren, doch wenn es um Videospiele geht, sind Spieldurchläufe von 100 Stunden und mehr keine Seltenheit. Das entspräche etwa der Laufzeit aller 10 Staffeln der US-Sitcom Friends, die über zehn Jahre hinweg im Fernsehen ausgestrahlt wurde.

Waren Pac-Man und Co. früher noch für kurze Spielzeiten an Arcade-Automaten ausgelegt, hat die Spieldauer über die Jahrzehnte immer weiter zugelegt. In der jüngeren Vergangenheit hat vor allem ein Spielelement für überdimensionierte Spielstände gesorgt: die Open World.

Spielspaß ohne Ende

Das Versprechen auf gigantische, frei begehbare 3D-Spielwelten, die bis in den letzten Winkel mit spannenden Inhalten angefüllt sind, hat sich vom Alleinstellungsmerkmal der GTA-Reihe zum Standard-Feature moderner Blockbuster gemausert. Wer heutzutage kein Abenteuer bieten kann, das uns durch mehrere Quadratkilometer große Landstriche streifen oder durch detailliert nachgebildete Metropolen flitzen lässt, muss sich das nötige Maß an Aufmerksamkeit hart erkämpfen. Da ist mittlerweile auch das Genre fast egal geworden, Open Worlds gibt es als RPG, Action-Adventure, Shooter und sogar Racer.

Immerhin steckte Metal Gear Solid 5: The Phantom Pain auch voller liebevoller Details. Immerhin steckte Metal Gear Solid 5: The Phantom Pain auch voller liebevoller Details.

Selbst Franchises, die seit Jahrzehnten auf eher lineare Inhalte setzen, gaben dem Druck irgendwann nach. Kam Metal Gear Solid 4: Guns of the Patriots laut der Website How Long To Beat noch auf knappe 22 Stunden für Hauptstory und Extras, müssen im weitläufigen Afghanistan von Metal Gear Solid 5: The Phantom Pain für dieselbe Leistung im Durchschnitt mehr als 80 Stunden investiert werden. Und wer schon The Legend of Zelda: Breath of the Wild gespielt hat, weiß, dass uns Hyrule für Wochen in Beschlag nehmen kann und somit den eigentlich gar nicht so kleinen Vorgänger Skyward Sword locker hinter sich lässt.

Die Open World ist nicht mehr nur ein ambitioniertes Vorhaben, sondern mittlerweile auch ein nicht zu unterschätzendes Marketing-Instrument, das dafür sorgen kann, dass Weltkarten auch dann immer weiter anwachsen, obwohl es keinen direkten, spielerischen Mehrwert bringt. Ganz unabhängig davon, ob offene Spielwelten nun sinnvoll integriert werden oder nicht, fordert die Grundidee hinter dem Entdeckerdrang jede Menge Zeit ein, die wir für all die Nebenaufgaben, Sammelquests und Collectibles einplanen müssen.

Hannes Rossow@Treibhausaffekt
Hannes würde niemals zugeben, dass er schon unzählige Welten ihrem Schicksal überlassen musste, weil er immer weniger Zeit findet, um sich durch die riesigen Spielwelten zu kämpfen. Immer wieder bleiben spannende Geschichten und tolle Mechaniken auf der Strecke, weil sie im Wust der Nebenaufgaben untergehen. Geht es denn nicht manchmal auch ein bisschen kleiner und kürzer?

Die Notwendigkeit, eine verlockende Open World dann zwangsweise auch mit ausreichend Aktivitäten zu füllen, beflügelt leider nicht gerade die Kreativität von Entwicklern. Dass die sogenannte "Ubisoft-Formel" mittlerweile sinnbildlich für überladene Spielwelten steht, die mit ihren meist abwechslungsarmen Aufgaben fast schon in Arbeit ausarten, spricht - unabhängig davon, ob dieser Vorwurf gerechtfertigt ist - eine deutliche Sprache.

Keine Zeit zum Welten retten

Diese Flut an umfangreichen Spielen hat dafür gesorgt, dass sich die Erwartungshaltung an "große" Videospiele angepasst hat. Und so kann es gerne einmal passieren, dass auf Facebook über die geschätzte Spielzeit von Horizon: Zero Dawn gemeckert wird: 40 Stunden für einen Vollpreistitel sind Nichts! In einer pragmatischen Sichtweise ergibt dieser Vorwurf sogar durchaus Sinn.

Uncharted 4: A Thief's End ist größer als die Vorgänger, trotzdem aber mit 15-20 Stunden Spieldauer schon fast ein Titel für zwischendurch. Uncharted 4: A Thief's End ist größer als die Vorgänger, trotzdem aber mit 15-20 Stunden Spieldauer schon fast ein Titel für zwischendurch.

Das Anlegen von Preis-Leistungs-Verhältnissen an künstlerische Werke wie Videospiele bleibt problematisch. Den Wert von Romanen messen wir schließlich nicht an ihrer Seitenzahl oder den von Filmen an ihrer Dauer. Aber in einem teuren Hobby, das neuwertige AAA-Titel für 70 Euro nun einmal sind, ist der Wunsch groß, möglichst "viel Spiel" für das eigene Geld einzukaufen. Da kommen die kaum überschaubaren Spielwelten natürlich gerade recht. Dass die Open World-Versprechen von endlos motivierenden Abenteuern in einer fremden Welt aber oftmals nicht eingehalten werden können und wir eher für leere Quantität als lohnenswerte Qualität zahlen, merken wir dann meist zu spät.

Auch an mir selbst bekomme ich die Auswüchse des Open World-Größenwahns immer deutlicher zu spüren. Habe ich zu meinen Schulzeiten noch bevorzugt zu JRPGs gegriffen, die mich für mein Taschengeld vergleichsweise lange unterhielten, bin ich allein im März angesichts von The Legend of Zelda: Breath of the Wild, Horizon: Zero Dawn, Nier: Automata, Mass Effect: Andromeda und meinen alltäglichen Aufgaben hoffnungslos überfordert. An The Witcher 3: Wild Hunt habe ich mich trotz Interesse bis heute nicht gewagt. Zu groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich nach15 Stunden im Startgebiet aus zeitlichen Gründen schon wieder die Segel streichen muss.

GTA Online ist seit Jahren aktuell und lässt seine Spieler einfach nicht mehr los. GTA Online ist seit Jahren aktuell und lässt seine Spieler einfach nicht mehr los.

Nun habe ich zwar weniger Zeit als damals in den Sommerferien, bin dafür aber auch finanziell besser aufgestellt und würde wohl mehr Geld für Spiele ausgeben, wenn die realistische Möglichkeit bestünde, all diese Titel auch bis zu ihrem Ende durchspielen zu können. So muss ich mich abermals für ein Spiel entscheiden, weil aus Geldmangel irgendwann Zeitmangel geworden ist.

Gleichermaßen sorgt die allgegenwärtige Open World dafür, dass Spiele ihr Publikum nicht nur über Wochen, sondern gleich über Monate oder Jahre hinweg an sich binden. Neuerscheinungen standen auch im Winter 2015 noch in Konkurrenz zu The Witcher 3 und GTA V, obwohl die beiden Spiele zu diesem Zeitpunkt ein halbes Jahr oder sogar bereits zwei Jahre alt waren. Denn wer erst einmal eine Spielwelt gefunden hat, die immer noch mehr spannende Quests oder lustige Situationen bereithält, braucht in keine andere Open World zu wechseln.

Neue Ideen braucht die Open World

Trotz der vielen Probleme, die das Open World-Konzept mit sich gebracht hat, kann ich den Reiz einer durchdachten Spielwelt, die genau weiß, wie sie ihre Größe einzusetzen hat, nicht leugnen. Meine ersten Stunden in The Elder Scrolls III: Morrowind und GTA: Vice City steckten voller Überraschungen und der Gedanke daran, eine ganze Welt oder eine ganze Stadt erkunden zu können, versetzte mich ins Staunen. Doch die Open World ist längst keine neue Idee mehr und das Staunen ist weniger geworden.

Wirkte eine Spielzeit von 100 Stunden noch vor einigen Jahren wirklich vielversprechend, ist es heute für mich eher ein Warnsignal, dass sich das tatsächliche Spiel hinter unnötigen Inhalten verstecken könnte, die die Spielerfahrung dem Marketing zuliebe strecken sollen. Jedes Spiel darf natürlich den Umfang bieten, den es leisten kann und wenn wir nach 300 Stunden in Himmelsrand so langsam mit den Hauptmissionen anfangen, ist das ok. Und wenn Spiele wie Horizon: Zero Dawn ihre Open World zum Erzählen von Geschichten einsetzen, ist das auch ok. Wenn die Welt aber keine Rolle spielt, muss sie auch ganz sicher nicht offen sein.

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