Ah, The Witcher 3, da fällt uns eine Geschichte ein. Erinnern Sie sich, wie vor einigen Jahren der Sekretär von Angela Merkel bei Piranha Bytes anrief, um ein Exemplar von Risen zu bestellen? Merkel wolle das Rollenspiel dem US-Präsidenten Barack Obama bei dessen Staatsbesuch überreichen, sagte der Anrufer, als Musterbeispiel für deutschen Schaffensgeist und technologische Finesse.
Daran erinnert ihr euch nicht? Natürlich nicht, das ist nie passiert! Mehr noch, es wäre unvorstellbar angesichts dessen, wie schwer sich die Berliner Politik immer noch damit tut, Spiele als Kulturgut anzuerkennen. Angela Merkel würde sich wohl eher die Haare pink färben, als Obama ein Spiel in die Hand zu drücken, geschweige denn ein Aufs-Maul-Abenteuer wie Risen.
Deshalb klingelt das Telefon anno 2011 eben nicht bei Piranha Bytes in Essen, sondern 964 Kilometer weiter östlich in Warschau: Beim Entwickler CD Projekt Red trauen sie ihren Ohren nicht, als das Büro des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk ein Exemplar von The Witcher 2 anfordert, um es Obama zu schenken. Überdies überreicht Tusk dem US-Präsidenten einige Romane des Fantasy-Autors Andrzej Sapkowski, auf denen The Witcher basiert.
Das kündet nicht nur vom unverkrampfteren Umgang mit Spielen, sondern auch vom schieren Stolz auf The Witcher an sich. Die Abenteuer des Hexers Geralt sind gewissermaßen das moderne Nibelungenlied der Polen, ein Nationalepos und eines der wenigen grenzübergreifend bekannten Kulturgüter des Landes. Denn Polen ist zwar die sechstgrößte Wirtschaftsmacht der EU, zudem leben zwischen Oder und Bug fast 40 Millionen Menschen - doch polnische Filme, polnische Bücher, polnische Produkte kennt man im Ausland fast keine.
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Bis auf The Witcher eben. »In Polen werden große Maschinen gebaut«, sagt CD Projekts Marketingchef Mihal Platkow-Gilewski, »große Maschinen sind aber nicht cool. Videospiele sind cool, und wir haben eine sehr talentierte Entwicklerszene. Der Industriezweig wächst rasch, deshalb ist auch The Witcher so bekannt.« Bekannt und erfolgreich, insgesamt sechs Millionen Mal haben sich die beiden Rollenspiele weltweit verkauft.
Nun steht The Witcher 3 in den Startlöchern, und mit dem kulturellen Stellenwert wächst auch die Verantwortung seitens CD Projekt, schließlich hütet der Entwickler einen Volksschatz. »Meine Eltern riefen mich an«, erzählt der Art Producer Michal Stec, »und sagten, hey, das ist doch dein Spiel, über das Obama spricht. Das ist schon ein gewisser Druck.« Ein schlechtes The Witcher 3 wäre keine Enttäuschung, es wäre für Polen ein nationales Debakel.
Stellare Erwartungen
Warum wir euch all das erzählen? Weil's ein wichtiger Aspekt der inzwischen regelrecht stellaren Erwartungen an das Hexer-Rollenspiel ist. Auch viele Spieler erhoffen sich von The Witcher 3 nichts weniger als das »Spiel des Jahres 2015«, wie ein User auf GameStar.de schreibt. »Kann's kaum erwarten, zu zocken!«, frohlockt ein anderer. »Das bisher gezeigte Material hat mich schlichtweg vom Hocker gehoben«, stimmt ein dritter mit ein.
Wir selbst kürten The Witcher 3 vor einigen Monaten zum Primus der E3. Steigt hier etwa Gott höchstpersönlich als Rollenspiel auf die Erde herab? CD Projekt ist seinerseits nicht ganz unschuldig an der Erwartungshaltung, vollmundig heißen uns die Entwickler zu einer »exzellenten Gameplay-Demo« willkommen, an deren Anfang erst mal alle Auszeichnungen prangen, die The Witcher 3 bislang bekommen hat. Inzwischen, heißt es nebenbei, seien erst ein paar mehr Preise hinzugekommen, aber die Messe habe ja auch erst angefangen. Bescheidenheit ist nicht gerade die Stärke der Polen. Angesichts der bisher gezeigten Spielszenen muss sie's aber auch nicht sein.
Nun würden wir ja gerne auf die Euphoriebremse drücken, die Warnflagge schwenken, den inneren Kritik-Schweinehund von der Leine lassen und mit dem Elektronenmikroskop nach Haaren in der Hexersuppe suchen – zumal's ja gerade einige Aufregung gab um einen angeblichen CD-Projekt-Insider, der The Witcher 3 als »PR-Blase« bezeichnet hat. Doch außer dem inzwischen schon mantrahaften Mahnwort »Hoffentlich übernehmen sie sich damit nicht!« sehen wir einfach keinen Grund zum Unmut.
Im Gegenteil, auf der Gamescom etwa fällt es selbst dem freudenfernsten Branchen-Miesepeter schwer, nicht mit einem seligen Grinsen aus dem Präsentationskino zu torkeln. Dort drinnen zeigen die Polen zwar exakt dieselbe Gameplay-Demo wie auf der E3, doch die sieht halt einfach großartig aus. Vor allem diese Spielwelt, so echt, so glaubwürdig! Auf seinem Pferd Roach (andere Kläpper wird es nicht geben) reitet der Hexer in Richtung der Stadt Novigrad, die nun mal so aussieht wie eine mittelalterliche Stadt auszusehen hat.
Geralt galoppiert an Feldern vorbei, auf denen Bauern harken, Schafe grasen und Sonnenblumen sprießen, er passiert Marktstände, überquert den Wassergraben, in dem kleine Boote schaukeln, sieht einen Händler, der gestikulierend auf einem umgekippten Karren steht, während Arbeiter die herausgefallenen Waren einsammeln, er trabt durch das riesige Stadttor, entlang krummer Fachwerkhäuser und idyllischer Kanäle.
Er beobachtet Spaziergänger, Kistenträger, Fischer, Marktschreier - »mehrere Tausend« Bürger sollen laut CD Projekt in Novigrad leben, bis hin zur, ähem, käuflichen Dame, die Geralt vor einer Taverne ansäuselt. Eine derart perfekte Stadtkulisse haben wir noch in keinem Rollenspiel gesehen, neben der schieren Pracht, der Detailliebe und den erstklassig inszenierten Dialogen von The Witcher 3 schrumpft ein Risen 3 geradezu zum Kellerkind.
Keine offene Welt
Doch je höher die Erwartungen, desto mehr kann sie ein kleines Detail zum Einsturz bringen … hm, ein kleines Detail … na gut, wie wär's damit: Auch wenn viele Spieler fest davon ausgehen, hat The Witcher 3 gar keine offene Spielwelt, zumindest nicht im klassischen Sinne. Anders als etwa in Skyrim oder GTA gibt es nämlich keine durchgehende Karte, auf der man ohne Ladepause vom einen zum anderen Ende spazieren kann.
Stattdessen wird die Witcher-Welt genau wie in den Vorgängern oder in Dragon Age: Inquisition in mehrere »Hubs« unterteilt, also in separate Regionen. Warum diese Unterteilung? »Die Abstände zwischen den Schauplätzen sind zu groß, als dass eine durchgehende Spielwelt umsetzbar wäre«, sagt der leitende Leveldesigner Peter Gelencser. »Beispielsweise liegt zwischen Novigrad und den Skellige-Inseln locker eine Tagesreise, diesen Zwischenraum können wir unmöglich sinnvoll füllen.«
Wie genau man von Hub zu Hub reist, stehe noch nicht endgültig fest: »Wir experimentieren derzeit mit mehreren Möglichkeiten. Es soll aber keinesfalls kompliziert werden.« Zwischen bereits besuchten Regionen darf Geralt voraussichtlich per Schnellreise-Teleport hin und her springen, indem man einfach auf die Karte klickt. Zum Spielbeginn stehen dem Hexer allerdings noch nicht alle Landstriche offen, auch nicht zu Fuß.
Geralt schaltet die Regionen nämlich erst nach und nach im Rahmen der Story frei. »The Witcher 3 beginnt in einem kleineren Hub, der sozusagen als Tutorial dient«, sagt Gelencser, »aber keine Angst, da wird euch nicht erklärt, welche Tasten ihr wofür drücken müsst. Stattdessen könnt ihr hier schon mal Geralts Kampfkünste erproben, euch mit den Quest-Entscheidungen vertraut machen und die Gegend frei erkunden, so wie später auch in den größeren Abschnitten.«
Wo genau dieser Sandkasten-Auftakt spielt, will uns CD Projekt noch nicht verraten, dafür bekommen wir einen guten Eindruck davon, wie groß die »größeren Abschnitte« wohl ausfallen werden. Wer bei »Hubs« an die vergleichsweise engen Open-World-Arenen eines Dragon Age 2 oder The Witcher 2 denkt, liegt nämlich daneben. Weit daneben.
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