London war im Jahr 1886 ein aufregendes Pflaster - zumindest, wenn man nach der alternativen Zeitlinie des PS4-Exklusivspiels The Order: 1886 geht. Im Auftrag der Königin kümmert sich ein uralter Ritterorden um die Bekämpfung übernatürlicher Wesen wie Werwölfen, doch ein Jahr nach den Morden von Jack the Ripper im Stadtteil Whitechapel gilt es auch, eine aufkeimende Rebellion der Unterschicht gegen die Krone zurückzuschlagen.
Wir schlüpfen in die Rolle des Ritters und Schnauzbartliebhabers Grayson, Codename: Galahad, der genau wie seine Kollegen den Namen eines von König Artus' Gralsrittern angenommen hat. Die waren nämlich die ursprünglichen Ghostbusters des Mittelalters, und nach ihrer Tradition kämpfen immer neue Verteidiger des Guten gegen die Wesen der Dunkelheit. Manchmal auch mehrere Jahrhunderte lang, denn das geheimnisvolle Schwarzwasser, das jeder Ritter in einer Phiole um den Hals trägt, verlängert die natürliche Lebenszeit eines Menschen um ein Vielfaches.
Gemeinsam mit seinem noch nicht zum Ritter geschlagenen Kollegen Lafayette und Liebschaft Isabeau (Ordensname Lady Igraine) ermittelt Galahad ausgerechnet in dem von Jack the Ripper traumatisierten Whitechapel gegen einen bevorstehenden Angriff der Rebellion. Dabei stößt das Trio nicht nur auf massive Gegenwehr und einige Werwölfe, sondern auch auf ein Komplott, das weiter reicht, als Galahad zunächst annimmt.
Actionfilm zum Mitspielen
Vordergründig ist The Order: 1886 ein Deckungs-Shooter. So wie Gears of War. Doch passt dieses Genre eben nur vordergründig auf The Order, denn was PS4-Besitzer geboten bekommen, nachdem sie die kurze Installation hinter sich gebracht haben, ist eher ein Hollywood-Blockbuster im viktorianischen Sci-Fi-Setting zum Mitspielen. Entwickler Ready at Dawn inszeniert hier vorrangig einen packenden Film, dessen Actionszenen wir als streng lineare Baller-, Kletter- und Schleichpassagen selbst in die Hand nehmen dürfen, statt einfach nur zuzusehen.
Entsprechend werden wir mit (nicht abbrechbaren) Filmsequenzen geradezu bombardiert und verbringen rückblickend mehr Zeit damit, dem Geschehen zuzuschauen, statt es per Controller selbst zu inszenieren. Multiplayer oder Koop? Fehlanzeige. Ist das schlecht? Nein, ganz und gar nicht. Denn The Order: 1886 gelingt durch seine Konzentration auf das Wesentliche etwas, das selbst den viel gepriesenen Werken eines David Cage wie Heavy Rain oder Beyond: Two Souls so nicht gelang: The Order erscheint durch und durch filmisch, der Übergang zwischen den Zwischensequenzen und dem Spielgeschehen ist absolut fließend.
Toller Nebeneffekt dieses nahtlosen Übergangs ist, dass die PlayStation 4 mit aberwitzig detaillierten, beinahe fotorealistischen Figuren und Schauplätzen endlich mal zeigen darf, was technisch wirklich in ihr steckt. Die Mimik der Charaktere wirkt beinahe lebensecht, die Hauttexturen lassen die Figuren dank feiner Poren, Fältchen und Pigmentflecken fast wie abgefilmte Schauspieler wirken. Perfektion durch Imperfektion. Stoffe bewegen sich und flattern realistisch im Wind, Metalloberflächen glänzen und reflektieren das Licht, die Umgebungen stecken allgemein voller winzig kleiner Details, die dazu einladen, einfach mal stehenzubleiben und sich umzusehen - unabhängig davon, ob wir gerade in einem Luftschiff, im Armenviertel oder in Katakomben unterwegs sind.
Eine derart opulente Optik gab es auf Konsolen bislang noch nicht zu bestaunen. Da nehmen wir gerne auch die nicht ausblendbaren Cinemascope-Balken in Kauf, die für Entlastung der Hardware sorgen und so ein flüssiges Bild bei 30 Frames pro Sekunde ermöglichen. Wie bei einem Kinofilm, den wir auf Blu-ray genießen, fallen die schwarzen Streifen oben und unten nur in den ersten Momenten wirklich auf. Schnell sind wir so in das Spiel und seine betörende Steampunk-Welt vertieft, dass wir das beschnittene Bild des Fernsehers gar nicht mehr wahrnehmen.
Die Definition von linear
Immer wieder dürfen wir richtig mit anpacken und müssen Galahad heil durch etliche Schießereien bringen. Nie haben wir das Gefühl, die Geschichte als bloße Zuschauer durch das Drücken der richtigen Taste zur richtigen Zeit am Laufen zu halten. Wir sind in die Geschichte involviert. Wir sind Teil eines Actionfilms. Dass einige der Kapitel aus spielerischer Sicht geradezu lächerlich kurz sind, fällt erst auf, wenn wir im Nachhinein darüber nachdenken. Auch großes Drama, tiefschürfende Dialoge oder Entscheidungsfreiheit müssen draußen bleiben. Aber die Popcorn-Action von The Order will auch gar nicht emotional sein, sondern im Rahmen seiner faszinierenden Welt und der interessanten Charaktere einfach volles Pfund auf die Zwölf geben. Im Stakkato.
Unscharfe Screenshots
The Order: 1886 setzt sehr stark auf Unschärfespielereien, Blendeffekte und Motion-Blur, weshalb es sehr schwierig ist, gerade bei Actionsequenzen ausdrucksstarke Bilder zu knipsen. Aber keine Sorge: In Bewegung sieht das Spiel (auch und gerade wegen dieser Stilmittel) phänomenal aus.
Doch die besten Übergänge zwischen Filmsequenzen und Spiel nützen natürlich nichts, wenn das Spiel an sich nichts taugt. The Order nimmt uns stets fest bei der Hand und lässt sie nicht los. Wir haben keine Gelegenheit, uns weiter als ein paar Schritte von der imaginären gestrichelten Linie zu entfernen, auf der wir durch die Levels laufen und teilweise auch in die Höhe klettern. Doch diese Beschränkung dient letztlich dem Spielfluss, denn die linear erzählte, über allem stehende Geschichte wird nicht von irgendwelchen Erkundungsgängen verfälscht. Wir bewegen uns strikt im Plot und im Tempo des Spiels.
Immerhin gibt's ein paar Zeitungen, Flugblätter und Objekte zu entdecken, die wir per Analogstick von allen Seiten betrachten können. Auch Tonträger mit zwar nett gemachten, aber nur selten wirklich storyrelevanten Nachrichten liegen hier und da herum. Wieviele dieser Dinge es insgesamt zu finden gibt, verrät uns das Spiel aber nicht. Das ist schade, denn wüssten wir, dass uns hier und da Objekte fehlen, würden wir nach dem Durchspielen gerne noch gezielt auf die Suche danach gehen - nicht zuletzt, da es dafür eine Trophy abzustauben gibt.
Sightseeing aus der Ferne
Letztlich dienen die Abschnitte, die wir zu Fuß durchqueren oder durchklettern aber sowieso nur dazu, von einer Schießerei zur nächsten zu gelangen und hier und da mal den Expositionsdialogen der Charaktere zu lauschen. Und natürlich auch dazu, an markanten Stellen die fantastisch designte Welt besser ins rechte Licht rücken zu können: Auf Dächern oder Balkonen halten wir gerne inne, um einen Augenblick die nebelverhangene Skyline des Viktorianischen London zu genießen. Komplett mit in der Luft kreuzenden Zeppelinen. Wow, wir wollen unbedingt mehr von dieser Welt sehen!
Es ist etwas schade, dass Schauplätze wie der Big Ben oder der Tower im Plot von The Order außenvorgelassen werden, doch andererseits muss man ja auch nicht zwanghaft alle Sehenswürdigkeiten in ein einziges Spiel quetschen. Bedenken wir aber, dass 1886 nur ein kurzer Ausschnitt der jahrhundertelangen Geschichte des Ritterordens ist, werden wir die Orte sicher noch in Pre- und Sequels besuchen dürfen. Und darauf freuen wir uns jetzt schon.
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