In Rainbow Six: Siege gibt es diesen einen Moment, der alles auf den Punkt bringt, was an Ubisofts neuem Taktik-Shooter herausragend ist. Ein einziger Augenblick, in dem ich weder atme, noch schlucke, noch blinzle. Ich kann mir keinerlei Ablenkung leisten, bin so angespannt wie bei kaum einem Spiel, das in den letzten Jahren erschienen ist. Mit meinem Gewehr kauere ich in der Ecke eines heruntergekommenen Biker-Clubs, links und rechts haben sich meine Kollegen verschanzt, und wir tun alle das gleiche: sorgsam die Ohren spitzen.
In diesem besagten Moment herrscht völliges Schweigen, niemand gibt einen Laut. Sound ist wichtig in diesem Spiel, die Entwickler haben es geschafft, ihn als taktisches Element großartig in die Gesamterfahrung zu integrieren. Denn von wo auch immer das nächste Geräusch auch kommen mag - es könnte unseren Tod bedeuten. Mein überschaubares Team aus Antiterror-Spezialisten hat diesen Club verrammelt wie einen Bunker - alle Türen sind mit Holzbarrikaden verschlossen und durch Stacheldraht unterfüttert. Die Wände wurden mit Panzerplatten verkleidet, ich habe mich hinter einem Schutzschild aus Stahl versteckt. Hier und da sehe ich auch eine Stolperfalle, alles in allem sieht der Fußboden aus wie eine Baustelle vor der geplanten Gebäudesprengung.
Und die explosive Assoziation ist ja auch nicht ganz verkehrt, schließlich bewacht mein Team eine gigantische Bombe in der Mitte des Raumes, mit der wir den Häuserblock dem Erdboden gleichmachen werden. Warum Polizisten so was Schlimmes tun? Naja, das weiß ich eigentlich auch nicht so recht. Denn das Szenario von Rainbow Six: Siege ergibt in etwa so wenig Sinn wie Always-On bei einem Singleplayer-Titel. Ubisoft gelingt das kuriose Kunststück, mit Siege eines der atmosphärisch besten und gleichzeitig atmosphärisch schlechtesten Spiele des Jahres zu entwickeln.
Leere Lizenz
Das Negative zuerst: Wer wie ich zu den Rainbow-Six-Veteranen der ersten Stunde gehört und bereits seit den 90ern auf Terroristenjagd geht, den könnte Siege ganz schön enttäuschen. Und das liegt nicht mal an Ubisofts Entscheidung, aus dem neuen Ableger der Marke einen Multiplayer-Shooter zu machen. Klar, viele hätten sich eine Story-Kampagne gewünscht, aber wenn ein Entwickler sich für einen anderen Kurs entscheidet und voll auf Mehrspieler setzen will, dann kann man das dem Spiel selbst nicht zum Vorwurf machen.
Das Problem ist eher, dass das ganze Setting quasi gar nichts mit Rainbow Six zu tun hat. Zwar kämpft man in den Solo-Trainingsmissionen und im Modus Terrorist Hunt gegen Terroristen, die im knappen Intro auch als weltweite Bedrohung deklariert werden - im PvP treten dafür Antiterror-Einheiten gegen die eigenen Kollegen an, um Geiseln zu retten und Bomben zu entschärfen. Abseits davon gibt es das eigentliche Team Rainbow quasi nur namentlich im Intro - alle Spielfiguren bleiben im Look ihrer Heimat-Spezialeinheiten, also Spetznatz, FBI und GSG9.
Natürlich war Rainbow Six nie ein opulent inszeniertes Cutscene-Feuerwerk, aber die Marke stand für Charaktere wie Ding Chavez, John Clark und Dieter Weber, die in Anlehnung an Tom Clancys Buch die Welt retten mussten. Von dieser Vergangenheit ist rein gar nichts mehr übrig. Rainbow Six: Siege trägt seinen Namen im Prinzip nur aus Marketing-Gründen. Es ist in erster Linie Shooter-Mechanik mit einem netten, aber inkonsequent umgesetzten Antiterror-Anstrich. Da wirkt selbst das Setting des Esport-Shooters Counter-Strike: GO logischer. Aber immerhin gibt es den aus den Vorgängern bekannten Modus Terrorist Hunt.
Mauer Singleplayer, netter Koop
Über die Solo- und Koop-Modi braucht man allerdings nicht viele Worte verlieren. Das soll nicht heißen, dass sie schlecht sind. Die elf Singleplayer-Einsätze sind nette Vorbereitungsmissionen für den Mehrspieler, die uns die Karten und Spielmechaniken näherbringen. Mal muss ich ein Hafengebäude von Terroristen befreien, mal eine Geisel retten, Bomben entschärfen oder Minen ausknipsen. Alles Aspekte, die im PvP wichtig sind. Nach maximal zwei Durchgängen, was rund vier Stunden entspricht, ist man mit dem Solo-Modus aber fertig und kehrt nicht mehr zurück.
Terrorist Hunt kann ich allein oder mit Freunden im Koop angehen. Gemeinsam erledigen wir im Prinzip dieselben Sachen wie im Solo-Training. Das macht so lange wirklich viel Spaß, bis man mit seinem eingespielten Team die KI auf höchstem Schwierigkeitsgrad aufs Kreuz legt. Und das dauert schon ein paar durchzockte Abende. Die Terroristen schießen angenehm schnell, setzen Granaten strategisch geschickt ein und versuchen sogar ab und an, mir in den Rücken zu fallen.
Allerdings gibt's danach keine langfristig motivierenden Ziele mehr. Übrigens macht sich das teils unlogische Szenario auch hier bemerkbar: Um mir den Rückweg mit einer geretteten Geisel abzuschneiden, haben sich die Terroristen in einer Mission zwischen den alarmierten Polizeiautos auf der Straße eingenistet. Die Kollegen in Blau freut's.
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