Seien wir mal ehrlich: Adventures gehören in der Regel nicht zu jener Sorte Spiel, bei denen man nach dem Abspann mit offenem Mund vor dem Bildschirm sitzt und die gerade erlebte Achterbahnfahrt schlechterdings kaum fassen kann. Klar: Das müssen sie auch gar nicht, ein gutes Adventure lebt von seinen Knobeleien - und von seiner Geschichte. Warum wir das hervorheben?
Weil Sherlock Holmes: Crimes and Punishments den ebenso seltenen wie bewundernswerten Mut besitzt, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Und weil es uns gerade deshalb so tief in seine Detektivarbeit zieht wie kaum ein Spiel zuvor.
Promotion: Sherlock Holmes: Crimes and Punishments
Viel Neues, aber auch Altes
Das hängt natürlich nicht zuletzt damit zusammen, dass wir den größten Detektiv aller Zeiten verkörpern. Insgesamt muss Sherlock Holmes sechs Einzelfälle knacken, in manchen davon steht ihm Doktor Watson mit Rat und Tat zur Seite. Jeder Fall erzählt übrigens eine eigene Geschichte - zwar gibt es einen roten Faden, der ist jedoch so lose, dass man kaum von einer Rahmenhandlung sprechen kann. Stört aber nicht, denn die einzelnen Episoden sind in sich geschlossen, genauso spannend wie ein einziger »großer« Fall und spielen sich wunderbar abwechslungsreich.
Mal müssen wir den Mord an einem Seemann aufklären, der mit einer Harpune an die Wand genagelt wurde, dann wieder geht's um Gift im Gewächshaus, wir jagen einen verschwundenen Zug oder begeben uns als Grabräuber auf die Fährte eines Artefakts in den Katakomben Londons.
Für Holmes-Kenner gibt es allerdings einen kleinen Wermutstropfen: Zwei Episoden basieren auf Originalgeschichten von Arthur Conan Doyle, sodass wir den Täter schon kennen, bevor Sherlock überhaupt mit seiner Deduktion angefangen hat. Ein dritter Fall, der des spurlos verschwundenen Zugs, ist ebenfalls von einer Kurzgeschichte inspiriert, nimmt sich aber genügend Freiheiten, um als eigenständige Story durchzugehen.
Gnade oder Galgen
Was jedoch alle Geschichten - egal ob alt oder neu - verbindet, sind die großartig geschriebenen Dialoge. Keine Zeile fühlt sich überflüssig an, kein Gespräch hat es verdient, beiseitegeklickt zu werden. Jede Figur, jedes noch so kleine Detail ist von Bedeutung - oder könnte es sein. Wir müssen aufmerksam vorgehen, Nebensächlichkeiten förmlich in uns aufsaugen, potenzielle Indizien in Gedanken drehen und wenden. Dieses Aufsaugen, diese werkgetreue Liebe zum Detail sorgt für ein ganz besonderes Gefühl von Immersion.
Und anders als die meisten Adventures erreicht das Spiel diesen Zustand nicht nur durch eine spannend geschriebene Geschichte und interessante Charaktere, sondern vor allem durch seine Mechanik. Denn um die Täter zu überführen, müssen wir nicht »bloß« zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Gegenstand kombinieren oder irgendeinen Hebel drücken, sondern tatsächlich wie ein Detektiv denken.
Ein Beispiel: In einer Adelsvilla wurde der Hausherr ermordet und wertvolles Silberbesteck geklaut. Die Witwe beschreibt uns bis ins Detail drei Räuber, die sie verprügelt und im Anschluss ihren Mann ermordet haben sollen. Wir können ihr Wort für bare Münze nehmen - oder wir schauen uns die Dame genauer an, entdecken alte Verletzungen, inspizieren die zahlreichen Schnapsflaschen im Raum und stellen ihr die Frage: »Wie war Ihre Ehe eigentlich so?« Danach werfen wir einen Blick in die Zeitung, entdecken eine Beschreibung der Räuberbande, die auffällig wortgleich mit der Zeugenaussage der jungen Witwe ist, und fragen uns: Könnte der Raub inszeniert worden sein, um einen Mord zu vertuschen?
In einem eigenen Menü verknüpfen wir unsere Erkenntnisse miteinander und entwickeln Theorien darüber, wer der Täter sein könnte. Das Spiel nimmt uns die Ermittlung nicht ab - auch wenn wir alle Hinweise in einem Fall gesammelt haben, können wir zu völlig falschen Schlüssen kommen, den verkehrten Täter verhaften und die Welt daran zweifeln lassen, ob das viele Kokain dem Detektiv letztlich doch zu Kopf gestiegen ist. Im Übrigen lässt uns jeder Fall am Ende die Wahl, ob wir den Täter laufen lassen oder an den Galgen bringen. Da es sich aber meist um kaltblütige Mörder handelt, stellt uns das nicht wirklich vor ein moralisches Dilemma.
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