Falls jemals die Geschichte bedeutender Knopfdrücke geschrieben werden sollte - die Starttaste, die Apollo 11 gen Mond katapultiert; das erste Mal, dass der A-Button einen italienischen Bildschirm-Klempner auf einen Goomba hüpfen lässt - dann wird der Klick, den der Spielemacher Tim Schafer und der Produzent Greg Rice in einem Hotelzimmer in Las Vegas machen, wohl nicht mal als Randnotiz auftauchen. Dafür ist ihr schwarzer Laptop zu schlicht, die Kulisse zu wenig feierlich.
Es ist die Nacht des 8. Februar 2012 und Schafer, der Vater klassischer LucasArts-Adventures wie Monkey Islandund Day of the Tentacle, stellt auf der Online-Plattform Kickstarter sein neues Projekt vor. Er möchte wieder ein Adventure entwickeln, etwas, wovon ihn große Publisher bis jetzt abgehalten haben. Doch Schafer fehlt das Geld, also bittet er seine Fans um Hilfe.
Auf Kickstarter erfragt er 400.000 Dollar, Spender sollen im Gegenzug T-Shirts, Poster und später das fertige Spiel bekommen. Mit einem Klick auf »Start your Project« wirft Schafer die Zukunft der Spieleindustrie in die Waagschale. Können sich professionelle Studios künftig direkt von den Spielern finanzieren lassen?
Zu diesem Zeitpunkt ahnt Schafer noch nicht, dass sein Experiment schon einen Tag später als ernsthafte Alternative zu klassischen Publishern gehandelt werden wird - und damit als Revolution der ganzen Branche.
Geldregen für Double Fine
»Die Idee war ziemlich verrückt«, erinnert sich Greg Rice, Produzent bei Schafers Studio Double Fine und rechte Hand des Spielemachers. »Tim und ich waren in Vegas auf der Entwicklerkonferenz D.I.C.E, um Publishern Spielideen vorzuschlagen, aber wir hatten schon vorher über Kickstarter nachgedacht. Und dann haben wir gemerkt, dass wir jetzt loslegen könnten, einfach so. Dann könnten wir nämlich die Games Developer Conference (GDC) dafür nutzen, nochmal mehr Werbung zu machen. Und dann, nun, dann ist das wohl alles ein bisschen explodiert.«
Nur acht Stunden nach Schafers erstem Klick sind die 400.000 Dollar zusammen, bis zur Million dauert es nur etwas mehr als einen Tag. »Die gesamte Konferenz haben Tim und ich damit verbracht, auf unsere Telefondisplays zu starren und uns gegenseitig die Summe zuzuraunen«, erzählt Rice. Währenddessen bricht - zumindest gefühlt - das halbe Internet in Begeisterungsstürme aus. »Hat Double Fine gerade Publishern den Todesstoß verpasst«, fragt etwa das britische Magazin Edge und legt damit den Finger in die Wunde.
Knapp 30 Tage später ist Schafers Kickstarter-Kampagne vorbei, und 87.142 Fans haben 3,3 Millionen Dollar in die Kassen von Double Fine gespült. So avanciert das vorläufig Double Fine Adventuregetaufte Titel aus dem Stand zum erfolgreichsten Projekt der gesamten Kickstarter-Geschichte. Inzwischen wurde das Spiel zwar von einer mit zehn Millionen Dollar finanzierten Smartwatch (einer Armbanduhr, die mit Smartphones kommuniziert) auf den zweiten Platz verwiesen, doch die Botschaft ist klar Wenn man so schnell so viel Geld anhäufen kann, braucht es dann wirklich keine Publisher mehr, sondern nur noch Spielemacher und Spieler?
Eine Spende mit Gegenleistung
»Wir haben aus Versehen dieses riesige Statement aus unserer Kickstarter-Kampagne gemacht«, erzählt Rice mehrere Monate später. »Auf der D.I.C.E. standen wir in einem Raum voller Publisher und haben denen diese völlig neue Art gezeigt, wie Spiele finanziert werden können. Wir wurden zum Stadtgespräch bei den Besuchern der D.I.C.E., und das Thema, zu dem jeder etwas sagen musste, das war Kickstarter.«
Das Double Fine Adventure ist freilich nicht das erste Kickstarter-Projekt, aber das erste, das einer breiteren Masse von Spielefans das Konzept »Crowdfunding« nähergebracht hat das Sammeln von Spendengeldern für Projekte, die in der renditegetriebenen Wirtschaft sonst keine Chance hätten. Für kreative Köpfe bieten Kickstarter und ähnliche Seiten wie IndieGoGo oder RocketHub eine interessante Möglichkeit, Projekte zu verwirklichen, die keine Bank und kein Investor in gutem Glauben unterstützen würden, Fans und Optimisten aber schon.
Macher erzählen in Videos und Blogposts, wie viel Geld sie brauchen, was sie damit vorhaben und wie sie ihre Unterstützer belohnen wollen - die Spanne reicht von selbstgebackenen Keksen bis hin zu Gratisexemplaren des fertigen Produkts.
Spender können zudem oft selbst entscheiden, wie viel sie geben wollen; für Großinvestoren gibt’s entsprechend wertvollere Dreingaben. Wer Tim Schafer 15 Dollar schickt, darf sich auf ein fertiges Spiel als Download und Zugang zum Dokumentarfilm über die Entstehung freuen, für 100 Dollar kommen ein T-Shirt sowie Spiel und Film auf DVD hinzu.
So verdient Kickstarter an den Projekten
Entwickler, die ihr selbstgestecktes Spendenziel erreichen, bekommen das Geld ausgezahlt, erfolglose Projekte werden eingestellt. Die Crowdfunding-Plattform bleibt dabei nur Mittler, hebt interessante Projekte hervor und kümmert sich ums Finanzielle. Kickstarter behält dafür fünf Prozent der eingenommenen Spenden ein, weitere drei bis fünf Prozent gehen an den Versandhändler Amazon, der den Zahlungsverkehr abwickelt. Für seine über drei Millionen Spendendollar hat Double Fine also rund 300.000 Dollar Gebühren bezahlt. Den Rest des Geldes und die Rechte an ihrem Projekt behalten die Macher.
Zum Zeitpunkt von Schafers Hotelzimmer-Klick ist Kickstarter bereits seit etwas über vier Jahren im Geschäft, Videospiele sind allerdings nur ein winziger Teil aller veröffentlichten Projekte. Der Großteil der Erfolge entfällt auf technische Gadgets wie iPhone-Zubehör und Uhren, Film- und Musikprojekte sowie eine Robocop-Statue in Detroit. Ja, eine Robocop-Statue. Große Spieleprojekte gibt es kaum, Kickstarter ist ein Anlaufpunkt für idealistische Indie-Entwickler, die um Kleinbeträge bis maximal 20.000 Dollar bitten, um das Spiel ihrer Träume zu entwickeln.
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