Das wäre unter Trump nicht passiert: Die USA haben in der alternativen Zeitlinie der Wolfenstein-Spiele 1948 nach nur einem einzigen Atomschlag des Regimes (die um alle Anstößigkeiten bereinigte Version der Nationalsozialisten) kapituliert und sind nun von den Deutschen, Entschuldigung, Germanen besetzt. Damals gab's eben noch kein Twitter, um den Aggressoren ordentlich den Marsch zu tweeten. Also müssen wir ihn Blazkowiczen!
Was im Vorgänger aber nur angeschnitten wurde, dürfen wir in Wolfenstein 2: The New Colossus hautnah miterleben. Seine Mission zur Zerschlagung des bösen Regimes führt den Weltkriegshelden BJ Blazkowicz diesmal nämlich auf heimatlichen Boden. Genauer gesagt ins New Mexico des Jahres 1961, in die Gegend des Städtchens Roswell. Moment … Roswell? War da nicht was mit einem abgestürzten »Wetterballon«?
Keine Angst, wir überlassen es euch, herauszufinden, was Wolfenstein 2 aus der vielversprechenden Prämisse macht. Doch bis dahin müsst ihr einige Hundertschaften Regime-Soldaten über den Jordan schicken. Die interessantere Frage ist deshalb, ob sich das Geballer (und gelegentliche Geschleiche) noch genauso oldschoolig-frisch anfühlt wie im Vorgänger The New Order.
Deutsche Version
In der deutschen Version von Wolfenstein 2: The New Colossus wurden wie bereits im Vorgänger sämtliche Bezüge zum Nationalsozialismus getilgt. Statt gegen den Führer kämpft ihr gegen den Kanzler und sein Regime, arisch wird zu germanisch usw.
Das gilt natürlich auch für die deutsche Sprachausgabe, in der zudem alle Personen hochdeutsch reden, während in der englischen Version internationale Akzente zu hören sind. Aus offensichtlichen Gründen ist die englische Tonspur in der von der USK freigegebenen Version nicht anwählbar.
Zweifelhafter Einstieg
Wer einen unkomplizierten und einsteigerfreundlichen Shooter wie Call of Duty erwartet, wird bereits im Einführungslevel ordentlich ins Fluchen geraten. Und zwar schon ab dem zweiten wählbaren Schwierigkeitsgrad, denn Wolfenstein 2 verlangt euch einiges ab.
Das Spiel verzichtet zudem auf modernen Schnickschnack wie komplette, automatische Gesundheitsregeneration und lässt euch stattdessen Medipacks aufsammeln. Sich bei Schießereien hinter einer Deckung zu verkriechen, bis die Energie wieder aufgefüllt ist, fällt also flach. Etwas unglücklich ist in diesem Zusammenhang, dass ihr im ersten Abschnitt an einen Rollstuhl gefesselt seid. BJ ist nämlich noch schwer angeschlagen vom Bosskampf mit General Totenkopf aus dem ersten Teil.
Er erwacht gerade erst aus dem Koma, als das Regime das U-Boot »Hammerfaust« entert, das der Resistance als mobile Kommandozentrale dient - ein wenig wie im Film »Terminator: Die Erlösung«, in dem die Führungskräfte der Menschheit ebenfalls von einem U-Boot aus operieren. Jedenfalls ist auch ein verkrüppelter BJ noch eine ernstzunehmende Gefahr für das Regime, was er beziehungsweise ihr sogleich unter Beweis stellt.
Eigentlich ein cooler Einfall für Spieler des ersten Teils, doch für Wolfenstein-Neulinge ist das eine eher mäßige Idee, da sie unter geänderten Voraussetzungen an das Spiel herangeführt werden. BJ steuert sich durch den Rollstuhl schwerfälliger, und auch das verzögerte Ziehen der Waffe, die auf seinem Schoß liegt, dürfte für so manchen unverdienten Treffer sorgen.
Apropos Einsteiger: Solltet ihr Wolfenstein: The New Order nicht gespielt haben, muss euch das nicht abschrecken, denn vor Spielbeginn gibt es eine gelungene Zusammenfassung der Ereignisse.
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Schleichen bringt Vorteile!
Ist der Rollstuhlabschnitt überstanden, geht es aber endlich ans Eingemachte. BJ kann laufen, rennen, hüpfen, kriechen und wenn nötig auch stampfen, um Zugänge zu Lüftungsschächten einzutreten. Gleich zu Beginn findet der Regime-Jäger in einer Feueraxt auch ein neues Allzweck-Tool, das sich sowohl zum Öffnen von Wandgittern als auch zum etwas schmutzigen Abmurksen von Regime-Soldaten eignet.
Und zwar auf mehrere Arten: Entweder schleicht ihr euch unbemerkt von hinten an, um Wachtposten zuerst in die Kniekehle zu schlagen und ihnen dann den Gnadenstoß zu verpassen, oder ihr benutzt die Axt im offenen Nahkampf, bei dem Fußsoldaten eigentlich immer den Kürzeren ziehen beziehungsweise einen Kopf kürzer werden. Eine dritte Einsatzmöglichkeit ist der Axtwurf, der schwächere Gegner ebenfalls sofort niederstreckt.
Gerade auf den höheren Schwierigkeitsgraden solltet ihr schleichen, wo ihr könnt, und dabei auf den Einsatz lärmender Regime-Locher verzichten. Zumindest, solange ihr die Kommandanten nicht gefunden und ausgeschaltet habt, die sich immer in der Nähe ihrer Truppen herumtreiben und Verstärkung rufen, sobald sie eure Gegenwart spitzkriegen.
Und wenn ihr ganz offen kämpft, solltet ihr immer darauf achten, die Schwachpunkte der Gegner auszunutzen. Habt ihr die erstmal herausbekommen, werden selbst die schwer gepanzerten Supersoldaten beinahe zum Kinderspiel. Denen könnt ihr nämlich entweder die Treibstofftanks in Flammen aufgehen lassen oder mit panzerbrechender Munition den Schutzhelm herunter- und die hässliche Visage wegballern. Und dann schnappt ihr euch das fallengelassene Lasergewehr, um dem restlichen Feindvolk ordentlich Feuer unterm Hintern zu machen.
Sei dein eigener Waffenschmied
Da die Supersoldaten zusammen mit den herumschwirrenden Drohnen zu den ersten wirklich nervigen »Problemgegnern« gehören, solltet ihr euch die panzerbrechende Munition so schnell wie möglich besorgen. Allerdings gibt's da einen Haken: Im Gegensatz zu normalen Kugeln liegen die Panzerbrecher nicht einfach so in der Gegend herum oder werden von besiegten Regime-Soldaten fallengelassen.
Ihr braucht dafür eins der versteckten Waffen-Upgrade-Kits, die in den Levels verteilt sind. Jeder eurer unterwegs gesammelten Ballermänner lässt sich durch diese Kits mehrstufig aufmotzen. Beim Sturmgewehr schaltet ihr beispielsweise panzerbrechende Kugeln frei und könnt außerdem noch ein Zielfernrohr sowie eine verdoppelte Magazinkapazität aufrüsten. Äußerst praktisch!
Wer in den Hauptlevels nicht abseits der Wege nach den Waffenkits suchen möchte, kann sich zwischen den Missionen an Bord des U-Boots Attentatsaufträge abholen, in denen sie als Belohnung winken. Diese Nebenmissionen führen euch in bereits besuchte Gebiete, wo ihr hochrangige Offiziere ausschalten sollt. Freischalten lassen sich die Attentate, indem ihr die gesammelten Lochkarten der in den Hauptmissionen beseitigten Kommandanten dechiffriert.
Auch BJ selbst lässt sich wie im ersten Teil aufmotzen. Das geschieht wie gewohnt nicht durch Erfahrungspunkte oder aufgesammelte Extras, sondern ihr schaltet durch eure persönliche Spielweise nach und nach Verbesserungen frei.
Wer etwa gerne schleicht und Gegner hinterrücks abmurkst, verdient sich schnell eine erhöhte Geschwindigkeit beim geduckten Schleichen, die sich nach und nach um jeweils 10 Prozent erhöht. Wer mit Vorliebe Regime-Birnen durchlöchert, erlangt stufenweise einen Schadensbonus beim Zielen über Kimme und Korn.
Die genauen Voraussetzungen zum Steigern bestimmter Fähigkeiten könnt ihr auch im Pausemenü abrufen, um euch gezielt auf die Jagd zu machen. Zudem dürft ihr BJs Kampfanzug im Verlauf des Spiels mit bis zu drei Kampfmods aufpowern, um etwa durch Wände (oder Gegner) zu brechen.
Überspitzte Geschichts-Gräuel
Genau wie der Vorgänger setzt Wolfenstein 2: The New Colossus auf eine gelungene Mischung aus blutigem Ernst, einem guten Schuss beißendem Humor und etwas Drama. Das in der deutschen Version durch den Austausch der Nationalsozialisten gegen »das Regime« bereits abgemilderte Szenario der alternativen Zeitlinie spricht viele ernste Themen wie die Herrenmenschen-Ideologie oder Sklaverei an, nur um sie zu überspitzen, dabei aber nicht zu verharmlosen.
Auch die Charaktere sind zwar allesamt überzeichnet, aber eben nur bis zu einer gewissen Grenze. So lässt es sich immer noch wunderbar mit BJ und den Widerstandskämpfern vom »Wiesenauer Kreis« mitfiebern.
Und wer in den Levels die Augen aufhält, statt nur an der Einrichtung vorbeizurennen, darf sich erneut über einfallsreich-ironische Propaganda-Poster freuen (»Wenn man Ihnen die letzte Zigarette anbietet, sind Sie auf der falschen Seite.«).
Überhaupt sind die Levels sehr abwechslungsreich gestaltet. So kämpft ihr euch beispielsweise durch den Bauch des Widerstands-U-Boots, die obligatorischen unterirdischen Regime-Einrichtungen und sogar den Ort, an dem 1948 die Atombombe einschlug. Letzterer könnte auch aus Fallout stammen. Weniger bedrückend ist auf den ersten Blick der Spaziergang durch eine bunte amerikanische Kleinstadt.
Hier findet eine Parade statt, Konfetti wehen durch die Luft. Doch wer die Augen aufhält, sieht Regime-Truppen, die das Volk im Blick haben, und Ku-Klux-Klan-Mitglieder, die vermummt und gutgelaunt plaudernd durch die Straßen stolzieren. Unmöglich, dabei kein drückendes Gefühl in der Magengrube zu verspüren.
Augen- und Ohrenschmaus
Anders als der etwas rucklige Vorgänger läuft Wolfenstein 2: The New Colossus dank id-Tech-6-Engine sowohl auf der PlayStation 4 als auch auf der Xbox One butterweich. Verzögerungen sind uns selbst bei größeren Schießereien keine aufgefallen, was auf der Xbox One aber offenbar durch reduzierte Auflösung und etwas weniger Details erkauft wurde.
PS4 Pro und Xbox One X
Wolfenstein 2 läuft auf der PS4 Pro in einer nativen Auflösung von 1440p (2560x1440) mit 60fps. Auf der Xbox One X wird das Spiel hingegen in nativen (echten) 4K und mit HDR-Unterstützung gerendert.
Bei beiden Versionen fällt hingegen der PC-Ursprung der Steuerung auf: Zu Beginn viel zu empfindlich eingestellt (wir empfehlen, die Empfindlichkeit in den Optionen ein Stück herunterzuregeln), wird es später mit zunehmend hektischerem Spielverlauf auch bei zugeschalteter Zielhilfe schwierig, punktgenau zu treffen. Besonders die fliegenden Drohnen werden schon früh zum mittleren Ärgernis, da die unflexible Analogsteuerung des Fadenkreuzes mit deren Flugbahnen nicht mitkommt.
Vorbildlich gelungen ist hingegen der Sound des Spiels. Und zwar egal ob wir über die Dialoge oder die musikalische Untermalung reden. Die deutschen Sprecher legen sich richtig ins Zeug, auch wenn es hin und wieder mal zu falschen Betonungen, falsch ausgesprochenen Namen (»Karoline« oder »Kärolain?«) oder im Fall von Frau Engel übertriebener Theatralik kommt. Und die Akzente der englischen Version entfallen natürlich.
Beim Großteil der Dialoge hört man jedoch gerne zu und bleibt auch mal stehen, um nebensächlichen Gesprächen unter NPCs zu lauschen. Ebenso gelungen ist die dynamische Musik, die passend zur jeweiligen Situation anschwillt, um die Gefechte mit treibend-heroischen Tönen zu untermalen.
Wolfenstein 2: The New Colossus profitiert von einer teilweise schon akribischen Liebe zum Detail in den Designs und Umgebungen. Zusammen mit der guten Spielbarkeit ergibt das einen überaus empfehlenswerten Shooter, der gerade durch seine moderne Oldschooligkeit besticht.
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