Watch Dogs 2 - Die Hacker-Geschichte ist spaßig, aber zahnlos: Orwell zeigt, wie es besser geht

Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Watch Dogs 2 ist ein unterhaltsames, aber zahnloses Hacker-Abenteuer. Dass das besser ginge, zeigt der Blick auf das Indie-Spiel Orwell.

Watch Dogs 2 macht Spaß — aber zu welchem Preis? Watch Dogs 2 macht Spaß — aber zu welchem Preis?

Schon lange hatte ich in einer offenen Spielwelt nicht mehr so viel Spaß wie bei Watch Dogs 2: Was kümmern mich die Story-Missionen, wenn ich den völlig unberechenbaren NPCs beim Banküberfall, Heiratsantrag oder Camping zusehen kann? Und passiert einmal nichts im Open World-Sandkasten von San Francisco Bay, so kann ich in der Haut des Protagonisten Marcus Holloway mit einem Fingerzeig die Sache ein wenig beschleunigen: Dank des Ultrahochleistungshandys, das fast ausnahmslos überall in der Spielwelt funktioniert, können wir wortwörtlich im Vorbeifahren die Smartphones unserer Mitmenschen manipulieren und so selbst ein wenig Chaos stiften. Unsere Phantasie dürfen wir dabei zwar nicht uneingeschränkt ausleben, doch bietet das Spektrum von Fake-Anrufen bis hin zu explodierenden Handys reichlich Spielraum für uns Tunichtgute.

Und genau so werden wir vom Spiel auch behandelt: Als Tunichtgute - und nicht etwa als Cyberkriminelle, die soeben schwerwiegend in die Privatsphäre der Stadtbewohner eingegriffen haben. Denn bezeichnend für diese Taten ist es, dass sie keine Strafen nach sich ziehen: Erschieße ich Passanten, ramme ich ein Polizeiauto oder begehe ich ein anderes »klassisches« Verbrechen, dann heftet sich die Polizei innerhalb kürzester Zeit an meine Fersen. Nutze ich hingegen mein Handy, um private Informationen auszuspähen, Bankkonten leerzuräumen, Chat-Verläufe zu lesen oder Akkus explodieren zu lassen, passiert nichts weiter. Selbst die Follower, die wir im Laufe des Spiels ansammeln, um mehr Unterstützung für unsere Hacker-Organisation zu gewinnen, reagieren in keinster Weise auf unseren sorglosen Umgang mit der Privatsphäre.

Dom Schott (@R3nDom):
Mit Watch Dogs 2 hat Dom eine Spielwelt für sich entdeckt, in der schon ein einfacher Spaziergang voller Abenteuer und absurder Beobachtungen steckt. Doch Kilometer um Kilometer macht sich während dieses Fußmarsches der üble Gestank von verpassten Chancen und zahnloser Unterhaltung breit: Nichts würde gegen ein unterhaltsames Watch Dogs 2 mit einer erkennbaren Botschaft sprechen — außer die Mutlosigkeit der Entwickler, wie es scheint.

Watch Dogs 2 macht Spaß, ist aber im Hinblick auf die Hacking-Thematik völlig zahn- und kopflos. Das farbenfrohe Abenteuer will sich möglichst weit von dem schlechten Ruf des Vorgängerspiels distanzieren, in dem ein frustrierter und deprimierter Aiden Pearce die Grenzen seiner Mitmenschen digital überschreitet und zumindest hierbei irgendwie glaubwürdig wirkt. Die Folge daraus ist, dass sich Ubisoft nun derart der kunterbunten Spaß-Plattitüde verschreibt, dass sie den Spielern keinerlei Grenzen aufzeigen wollen. Eine potentiell starke Botschaft oder gar ein Kommentar zur ständig diskutierten Überwachungsthematik - die spielmechanisch trotzdem unterhalten kann - ist schlichtweg nicht möglich. Damit ist Watch Dogs 2 zur neuesten Annett Louisan des Software-Regals geworden, die »Ich will doch nur spielen!«-schreiend und mit beiden Fingern in den Ohren genau so schnell aus dem kollektiven Spielgedächtnis verschwinden wird, wie ein Großteil der übrigen »Hauptsache Spaß!«-Giganten. Und das ist schlichtweg schade.

Botschaft und Spielspaß schließen sich nicht aus

Der Vorwurf, dass Spiele mit einer erkennbaren Botschaft oder einem kritischen Kommentar keinen Spaß machen oder »anstrengend« sind, ist dabei nur ein schlechter Vorwand. Es gibt mehr als genug Beispiele, die unterhaltsame Spielstunden mit Aha!-Momenten koppeln, aber gerne immer wieder im Grundrauschen der ganz großen Titel unterzugehen drohen. Ein ganz aktuelles Vorzeigespiel hierfür ist Orwell, das euch zum Entscheidungsträger einer großangelegten Profiling-Aktion macht: Nach einer Reihe von Terroranschlägen ist es eure Aufgabe, mit Hilfe von Kamerabildern, Social Media-Profilen, Chat-Verläufen und noch weitaus mehr Spuren, die ein virtueller Fußabdruck hinterlassen kann, die Drahtzieher der Anschläge dingfest zu machen.

Die Spurensuche in Orwell ist eine spielmechanische und moralische Herausforderung gleichermaßen. Die Spurensuche in Orwell ist eine spielmechanische und moralische Herausforderung gleichermaßen.

Über fünf separat verfügbare Episoden taucht ihr in die verwirrende Welt der Online-Selbstdarstellung, Fake News und unscharfe Kamerabilder ab, um im Idealfall die Schuldigen zu fassen. Doch euer Weg bis zur finalen Auflösung ist gepflastert von zahllosen Entscheidungen, die ihr ganz alleine und auf Grundlage eurer Profiling-Arbeit treffen müsst - und unter Umständen erwischt es dann durchaus auch mal völlig unschuldige Personen. Während dieses Spagats durchbrecht ihr hunderte Male Grenzen der Privatsphären und ertappt euch plötzlich dabei, wie ihr einem Chat-Gespräch lauscht, das sich schon nach den ersten Zeilen als unwichtig für euren Fall herausgestellt hat.

Doch ihr seid neugierig, saugt jede Information aus dem Leben dieser fremden Personen auf - bis ihr plötzlich merkt, was ihr hier gerade eigentlich tut: Ihr balanciert während des gesamten Spiels am Abgrund zum blanken Voyeurismus, der jede Grenze überschreitet. Einfach, weil ihr es könnt. Orwell lässt euch diese Möglichkeit erkunden, ohne sie euch zu verbieten und vertraut ganz auf den sich irgendwann einstellenden Aha!-Moment. Das funktioniert hervorragend, unterhält, ist spannend und gibt uns schlussendlich eine klare Botschaft mit auf den Weg.

Auf der Suche nach dem kompromisslosen Spielspaß hat sich Watch Dogs 2 völlig verrannt. Auf der Suche nach dem kompromisslosen Spielspaß hat sich Watch Dogs 2 völlig verrannt.

Diese Tiefe, die über erhobene Mundwinkel hinausgeht, lässt das Hacker-Abenteuer von Ubisoft vermissen. Ja, es stimmt, schon lange hatte ich in einer offenen Spielwelt nicht mehr so viel Spaß wie in Watch Dogs 2. Doch dieser Spaß ist faul, zahnlos und nährt schließlich zu allem Übel auch noch den Irrtum, dass sich Videospiele grundsätzlich immer zwischen politischer Botschaft und Spielspaß entscheiden müssten. Und das ist ein hartnäckiger Trugschluss, bei dem der Spaß letztlich aufhört.

zu den Kommentaren (6)

Kommentare(4)
Kommentar-Regeln von GamePro
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.