In einer Zeit, in der große Triple-A-Mächte das Land der Spiele und Spieler regierten, da sagte ein deutsches Entwicklerstudio mit stolzem Herzen: Ihr könnt uns mal, wir machen keine glattgeleckten Open-World-Rollenspielmonster, sondern Point&Click-Adventures. Und wie Daedalic das machte! Edna bricht aus, Harveys neue Augen, Deponia und The Whispered World sind nur ein paar der Titel, die das Studio seit seiner Gründung 2007 entwickelt hat.
Blöd nur: All diese wundervollen und oft auch wundervoll schrägen Titel erschienen nur für den PC. Insbesondere im Falle von The Whispered World ist das schade, denn mit Silence findet der direkte Nachfolger nun auch seinen Weg auf die Konsolen. Und dann ist das wieder gar nicht so tragisch, denn man muss The Whispered World nicht zwingend kennen, um mit Silence seinen Spaß zu haben. Dennoch empfehlen wir, sich vor dem Spielen vielleicht ein Let's Play von The Whispered World auf Youtube anzuschauen, um auch wirklich alle Anspielungen und Rückbezüge zu verstehen.
Der Vorgänger: The Whispered World
Der junge Clown Sadwick erfährt, dass er die Welt vernichten wird - der Auftakt zu einem außergewöhnlichen, melancholischen, dennoch (doppelbödig) humorvollen Adventure. Großartig gezeichnete 2D-Grafik, elegante Dialoge und knackige Rätsel heben The Whispered World weit aus der Adventure-Masse heraus. Die GameStar vergab 86 Punkte.
Unglaublich, wie dieses Spiel aussieht!
Bevor wir uns mit der Story austoben, müssen wir erst für einen kurzen Augenblick andächtig den Atem anhalten, um dann von den Dächern zu rufen, wie zauberhaft schön dieses Spiel aussieht! Daedalic hat mit der Welt Silence eine der malerischsten und visuell beeindruckendsten Umgebungen erschaffen, die wir seit langem in einem Spiel erlebt haben.
Lichtstimmungen, Schauplatzdesigns, Musik- und Sounduntermalung - all diese Aspekte greifen so passend ineinander, als wäre alles von derselben Person entworfen worden, um nur einen Zweck zu erfüllen: den Spieler in eine magische Märchenwelt zu entführen, die ihn nicht mehr loslässt.
Wenn man das erste Mal aus dem Maul des riesigen Weltenwurms die Wälder von Silence betritt, mit den skurrilen Gummipilzen, Leuchtkäfern und Wuschelgnomen (wir haben den Fachbegriff vergessen) vor einem kleinen Wasserfall interagiert, nur um in der nächsten Szene die gigantische Hauptstadt Kalimar in der Ferne zu erblicken, dann kann man nur staunen.
Aber Silence ist nicht einfach ein bunter Märchenwald mit schrägen Tieren und abgedrehter Natur. Am besten lassen sich Atmosphäre und Setting mit dem Film »Oz - Eine fantastische Welt« vergleichen. Dort kehrt Dorothy nach den Ereignissen des ursprünglichen Oz-Musicals auf der Flucht vor der Irrenanstalt ins Zauberland zurück, nur um zu merken, dass sich hier alles irgendwie zum Schlechteren gewendet hat.
Die Fortsetzung hat einen spürbar düstereren Ton als das Original. Unter die klassischen Fabelwesen mischen sich verzerrte Kreaturen, alles wirkt ein bisschen verfallen und unheimlich. Beim Schauen des Films wechselt sich das Staunen über die Fantasywelt mit einem melancholischen Schauer ab.
Und genauso sieht es auch in Silence aus, wo dunkle Sucher einer falschen Königin die putzigen Einwohner terrorisieren. Was man auf den ersten Blick leicht für einen Kinderzeichentrickfilm halten könnte, entwickelt sich rasch zu einem dramatischen Abenteuer mit wirklich bedrückenden Schicksalsschlägen. Selten hat uns ein Spiel so berührt wie Silence, und selten waren wir am Ende einer Reise emotional so ergriffen wie hier.
In der Inszenierung scheut man keine Kosten - mit der neuen 3D-Projektionstechnik erschafft Daedalic das technisch stärkste Adventure seiner Studiogeschichte: Im ersten Moment mag man wegen der statischen Szenerien an ein 2D-Adventure denken (das ist es rein spielerisch auch), aber bereits kurz nach dem Intro fliegt die Kamera stufenlos zwischen Cutscenes und klassischer Ansicht hin und her wie in einem Spielfilm.
Unser einziger Kritikpunkt: die Farbpalette. Silence behält sich in der Inszenierung über einen Großteil des Spiels hinweg einen grünlichen Stich bei, der die traumhafte Stimmung unterstreicht, die die Story erschaffen will. Eine nachvollziehbare Designentscheidung, allerdings wirken dadurch viele Schauplätze einander ähnlicher, als sie es eigentlich sind. Das ursprüngliche Whispered World mit seinem Zirkusplatz, der nächtlichen Stadt, der Echsenfestung und all den anderen Orten machte auf uns einen visuell weitaus vielseitigeren Eindruck.
Aber das trübt den extrem positiven visuellen Gesamteindruck dieser magischen Welt nur unwesentlich - und ist am Ende des Tages wohl auch Geschmackssache. Ob man die Reise nach Silence überhaupt genießen kann, hängt ohnehin vom wichtigsten Kern eines guten Adventures ab: der Story.
Was ist real?
Im Fantasy-Reich Silence feiern Kenner des PC-Vorgängers ein Wiedersehen mit Sadwick, Spot, den lebenden Steinen Yngo und Ralv und Prophetin Shana. Gleichzeitig treten einige bisher unbekannte Charaktere ins Rampenlicht: die Rebellen Kyra, Samuel und Janos, die gegen die finsteren Sucher (Monster, die eins zu eins aus einem Studio-Ghibli-Film stammen könnten) einer falschen Königin kämpfen.
Und es mischen auch zwei neue Helden mit: das tapfere Mädchen Renie und ihr schreckhafter großer Bruder Noah, die sich beide in der Zauberwelt verloren haben und einen Weg zurück nach Hause suchen. Als Spieler steuern wir mal Renie, mal Noah und rätseln uns durch die verschiedenen Schauplätze, um an der Seite der Rebellen die falsche Königin zu stürzen. Nach dem ersten Drittel der Reise wird auch Sadwick ein spielbarer Charakter, während Noah sich fortan zurücknimmt
Allerdings verschwimmen in der Welt von Silence die Grenzen zwischen Realität, Traum, Fantasie und Tatsache. Renie und Noah stammen eigentlich aus einer Welt, die wie unsere aussieht, stolpern aber plötzlich in dieses Zauberreich, in dem alles auseinanderfällt. Ältere Adventure-Kenner fühlen sich da an Loom erinnert.
Daedalic erschafft hier eine spannende Ausgangssituation, denn eigentlich hätte es nach The Whispered World gar keine Fortsetzung der Story geben können. Sadwicks Geschichte war definitiv zu Ende, wird hier aber in einem neuen Kapitel wiedereröffnet, und das macht uns als Spieler extrem neugierig, was es damit auf sich hat.
Ohne zu viel zu verraten: Silence konzentriert sich vor allem auf das Spiel mit verschiedenen Realitäten und will seine Geschichte rasant zum Finale treiben. Diese Eile mag dem hohen technischen Produktionsaufwand geschuldet sein, denn das eigentliche Abenteuer fällt mit rund vier bis sechs Stunden arg kurz aus und fühlt sich an einigen Stellen stark überhastet an.
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