Steam und Apple müssen Weiterverkauf zulassen - Bis die Cloud alles verschluckt

Der europäische Gerichtshof hat den Wiederverkauf von Software in einem richtungsweisenden Urteil für rechtens erklärt. Das Urteil betrifft auch Steam, Battle.net und den App Store, meint Daniel Visarius.

Der europäische Gerichtshof in Luxemburg hat mit einem wegweisenden Urteil die Rechte von Verbrauchern gegenüber den Software-Hersteller gestärkt (Bild: Europäischer Gerichtshof). Der europäische Gerichtshof in Luxemburg hat mit einem wegweisenden Urteil die Rechte von Verbrauchern gegenüber den Software-Hersteller gestärkt (Bild: Europäischer Gerichtshof).

Das hat gesessen. Das oberste EU-Gericht, das EuGH mit Sitz in Luxemburg, hat das grundsätzliche Recht zum Wiederverkauf von Software anerkannt – egal ob auf DVD oder als Download.
Damit verwirft das Gericht die jahrelange Argumentation der Software-Branche, Spiele oder Anwendungsprogramme seien juristisch ganz anders zu behandeln als Autos oder Grafikkarten. Nach der Logik der Software-Branche könnte BMW auch nur noch Nutzungsrechte an seinen Autos vergeben, um den Wiederverkauf zu unterbinden und noch mehr Neuwagen abzusetzen.

Im Fall des EuGHs ging es um den Streit zwischen dem Software-Wiederverkäufer usedSoft und US-Softwarekonzern Oracle. Im Hinblick auf die auch für Spieler interessanten Einzelverkäufe bekam usedSoft uneingeschränkt Recht.

Die für professionelle Wiederverkäufer relevanten Sammelverkäufe schränkte das Gericht allerdings ein, wie wir in unserer News Gebrauchte Software ist legal bereits berichtet haben. Oracle reagiert in einer Stellungnahme ziemlich verschnupft und kündigt die nächste Lobby- und Klageoffensive an, wohlwissend, wie richtungsweisend das Urteil für die Software-Branche sein kann:

»Wir meinen, dass der Gerichtshof der Europäischen Union die bedeutsame Chance verpasst hat, eine klare Botschaft über den Wert von Innovation und geistigem Eigentum an die europäische Wirtschaft und europäische Unternehmen auszusenden, wobei er die überzeugenden Hinweise der Europäischen Kommission, mehrerer Mitgliedstaaten und des Generalanwalts missachtet hat, die in dem Verfahren alle Oracle unterstützt haben. Das Urteil ist daher durchaus überraschend.

Unserer Ansicht nach ist dies nicht das Ende der Rechtsentwicklung. Wir vertrauen darauf, dass die EU-Mitgliedstaaten ebenso wie die Europäische Kommission alles in ihrer Macht stehende tun werden, um die Innovationen und Investitionen der europäischen Technologiebranche zu schützen und Geschäftsmodelle, die beides gefährden, zu unterbinden. Ebenso muss verhindert werden, dass Anwendern unnötige Risiken durch Software entstehen, die sie über einen Zweitvertriebsweg erwerben, ohne sicher zu wissen, ob die Lizenzen durch den Erstanwender rechtlich einwandfrei erworben wurden.«

Daniel Visarius ist Mitglied der Chefredaktion von GameStar. Daniel Visarius ist Mitglied der Chefredaktion von GameStar.

Wie manchmal Microsoft rückt auch Oracle hier Verkäufer und Käufer von Gebraucht-Software in ein zwielichtiges, ja fast kriminelles Licht. Dabei finde ich das Urteil des EuGH gar nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint.

Das EuGH bezieht sich in erster Linie auf Datenträger und per Download vertriebene Software, die keine umfassenden Kopierschutzmechanismen in Form von Aktivierungen oder Kontenbindungen haben. Also auf Software, die sich eh problemlos weiter verkaufen lässt. Im Prozess ging es nur darum festzustellen, ob diese Art des Weiterverkaufs legal ist oder nicht. Das Gericht schlägt Oracle sogar explizit einige Kopierschutzmaßnahmen wie Aktivierung oder Kontenbindung vor, um dafür Sorge zu tragen, dass nicht sowohl Käufer als auch Verkäufer die Software nutzen können – denn das wäre nachvollziehbar illegal. Blind lässt sich das Urteil jedoch nicht auf Spiele-Verkäufe übertragen, weil es dem wegweisenden Half-Life-2-Urteil des deutschen BGHs von 2010 nicht direkt widerspricht. Oder doch? Damals hat das Gericht die Kontenbindung und damit auch die Unmöglichkeit eines Wiederverkaufs als rechtmäßig beurteilt.

Wenn also der Wiederverkauf an sich rechtens ist, muss das im Kontext des Urteils des EuGH – wir reden sowohl über DVDs als auch über Downloads – genauso für Steam, den AppStore für Smartphones wie das Apple iPhone 4S, Playstation Network für Playstation 3 und Playstation Vita sowie Xbox Live beziehungsweise Xbox 360 gelten. Als gerechtfertigte Einschränkungen der Freiheit des Käufers dürfen Kopierschutzmaßnahmen laut BGH wie Konten- und Hardware-Bindungen oder Aktivierungen sicherstellen, dass die gekaufte Lizenz nicht von mehreren Personen verwendet wird. Wenn Wiederverkauf und Aktivierungen koexistieren können, heißt das für mich umgekehrt, dass auch der Wiederverkauf von kontengebundener oder sonstwie kopiergeschützer Software erlaubt sein muss. Auch nach dem Verständnis des Fachanwalts für gewerblichen Rechtsschutz, Stephan Mathé von der Hamburger Kanzlei Rode + Mathé sind Widersprüche in den Urteilen erkennbar:

»Der EuGH stärkt – im Gegensatz zum BGH im damaligen Steam-Fall – ganz klar den Erschöpfungsgrundsatz und die sich daraus ergebenden Rechte des Wiederverkäufers. Hat der Hersteller einmal das Produkt gegen angemessenes Entgelt veräußert, soll er grundsätzlich am Weiterverkauf nicht mehr beteiligt sein. Downloads werden dabei Retail-Produkten gleichgestellt. Wenn dies also für Oracle gilt, stellt sich die Frage, wann auch die Vertriebsmodelle von Steam, Apple & Co. kritisch überprüft werden. Für mich zeigt das EuGH-Urteil eine deutliche Abkehr vom falschen BGH-Kurs.«

Stephan Mathé, Fachanwalt aus Hamburg, hat sich das Urteil des EuGH für uns genau angeschaut. Stephan Mathé, Fachanwalt aus Hamburg, hat sich das Urteil des EuGH für uns genau angeschaut.

Grundlage ist hier die Randnote 63 im Urteil des EuGH, in der auch das Gericht ausführt, dass der Software-Entwickler bereits mit dem ersten Verkauf an den Erstabnehmer sein Geld verdient. Solange nach dem Weiterkauf sichergestellt ist, dass nur der Zweitkäufer die Software benutzen kann, entstehe dem Hersteller kein finanzieller Schaden, weil ja nicht mehr Nutzer als bisher die Software verwenden können.

Dieser Hinweis könnte in künftigen Prozessen noch relevant werden: Warum sollte es nicht möglich sein, eine App oder ein Steam-Spiel an einen anderen iTunes- oder Steam-Account weiter zu verkaufen, wenn ich das Programm nicht mehr brauche und der Wiederverkauf von Software mir grundsätzlich frei steht? Eine einfache Möglichkeit wäre hier die Deaktivierung der Software auf dem Gerät des Verkäufers, die einer Neuaktivierung auf der Hardware Käufers voraus gehen müsste.

Insofern entwickelt der EuGH das Urteil des BGH weiter. Weil das aber im Detail nicht ausgeführt ist, dürften erst künftige Klagen hier Gewissheit bringen. Möglicherweise wird der Fall auch sehr bald wieder dem EuGH vorgelegt – zur Klärung der Wechselwirkungen zwischen dem eigenen Urteil und dem des BGH. Musik und Filme übrigens sind bei diesem Themenkomplex noch gar nicht berücksichtigt – sie sind juristisch derzeit ein anderes Gut als ausführbare Programm-Software. Für mich zieht der Vergleich zum Buch, zur DVD oder wieder zum Auto aber auch hier. Der Sonderfall bei den sogenannten immateriellen Gütern liegt für mich einzig darin, dass sich legale wie illegale Kopien viel leichter anfertigen lassen als bei einem Auto. Hier müssen noch für beide Seiten zufriedenstellende Wege gefunden werden, um die Interessen der Rechteinhaber und der Konsumenten zusammen zu bringen. Ändert aber nichts am Grundsatz des Rechts auf Wiederverkauf.

Soweit ist das Urteil für mich als Spieler zunächst positiv, auch wenn Valve oder Apple kaum die damit einhergehenden Implikationen freiwillig berücksichtigen dürften und erst mühsam vor Gericht dazu gezwungen werden müssen. Leider weist das Urteil aber auch den Herstellern den Weg, wie sie Wiederverkäufe wirksam stoppen, wenn sie es denn mit aller Gewalt gegen das Interesse Ihrer Kunden durchdrücken wollen – den Trend zur Cloud und zum Cloud Gaming (ich denke etwa an den Kauf des Streaming-Dienstes Gaikai durch Sony) verschärfen und damit den Wandel vom bei Kunden lokal vorhandenen Programmen hin zur Dienstleistung, zum Mietmodell beschleunigen.

Eine Entwicklung, die jedenfalls nicht in meinem Sinne ist. Ich möchte meine Lieblingsspiele unabhängig von Servern, die mal laufen, mal nicht und irgendwann ganz abgeschaltet werden, wenn der Anbieter dicht macht oder das Spiel nicht hinreichend profitabel ist. Und ich möchte auch spielen können, wenn meine Internetleitung mal streikt – kommt selten vor, aber auch das kommt aber manchmal vor.

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