Während wir mutigen Herzens durch den Dschungel Boliviens schleichen, Drogenbarone ausschalten und einem zerrütteten Land Stabilität bringen, verfolgen wir als Redaktionsteam insgeheim eine weitaus heiklere Sondermission - Ghost Recon: Wildlands vernünftig zu bewerten. Das entpuppt sich als echt kniffliges Unterfangen. Wer Ubisofts neuem Third-Person-Shooter nämlich einfach nur ein Label der Marke »Gut« oder »Schlecht« auf den Deckel pappen will, der scheitert rasch an einem komplizierten Geflecht aus Für und Wider.
Hier ein paar Beispiele: Wildlands bietet eine der schönsten Open Worlds aller Zeiten, wenn sie denn gerade nicht von Technik-Problemchen geplagt wird. In ihren besten Momenten erschafft die Sandbox famose Shooter-Erlebnisse, dafür bleiben die Missionen oft furchtbar eintönig.
Der Koop-Modus sorgt immer wieder für unglaublich witzige und packende Kumpel-Erfahrungen, sofern die Uplay-Verbindung mitspielt. Die KI der Gegner kann einen richtig motivierend an die eigenen Grenzen treiben, wenn die teils unfairen Gegner-Spawns nicht für ungerechtfertigte Frustmomente sorgen.
Ihr merkt, was wir mit Für und Wider meinen. Aber kein Grund zur Sorge: Test-Squad setzt sich natürlich aus den besten der besten zusammen - und deshalb geben sich unsere Agenten auch mit keiner Niederlage zufrieden. Stattdessen starten wir unsere Bewertungs-Mission erhobenen Hauptes dort, wo sich wahrscheinlich alle Spieler einig sein dürften: der Story von Wildlands.
5 Dinge, die man zum Release über Ghost Recon: Wildlands wissen sollte
Ubisoft hält sich (leider) an die eigenen Worte
Publisher Ubisoft hat vor einer Weile bekannt gegeben, in künftigen Spielen weniger Wert auf eine "klassische Erzählweise" zu legen und dafür durch cleveres Sandbox-Design "Spieler-Anekdoten" auf den Weg zu bringen, ähnlich wie die beliebten Battlefield-Momente. Oder zynischer formuliert: Weil gute Storys in heutigen Triple-A-Spielen ohnehin Mangelware sind, schenkt man sich die Suche nach fähigen Autoren und setzt stattdessen direkt auf ein ganz anderes Pferd. Spielergeschichten stehen im "Share everything"-Zeitalter von YouTube, Twitch und Facebook ohnehin höher im Kurs.
Ghost Recon: Wildlands entpuppt sich als Paradebeispiel für diese neue Strategie. Und das heißt für Story-Fans vor allem eins: Die Geschichte des Spiels ist in ihren besten Momenten belanglos, in ihren weniger guten Augenblicken indes völliger Murks. Die Dialogregie könnte aus dem Lehrbuch für "Wie man keine Charaktere schreibt" stammen, die platten und vorhersehbaren Sprüche der Hauptfiguren sorgen immer mal wieder für Fremdschäm-Situationen.
Der eigentliche Plot lässt sich folglich schnell erklären: In Bolivien hat sich ein wirklich böser Drogenboss zum Quasi-Monarchen aufgeschwungen und vier Ghost-Recon-Agenten müssen ihn zu Fall bringen, indem sie alle seine Unterbosse und deren Gangster-Gefolgschaft aus dem Weg räumen. Jeder Hauptmann regiert einen bestimmten Bezirk der offenen Spielwelt. Wir wählen die Zugriffsreihenfolge und arbeiten uns bis zum Oberhaupt vor. Kleine Intro-Filmchen führen jeden Bösewicht ein, allerdings glänzt keiner von ihnen mit einer interessanten Persönlichkeit.
Klar, bei einem Tom-Clancy-Spiel ist die Story (abseits von Splinter Cell) selten ein Aushängeschild, und Ubisofts Rechnung von tollen Spieler-Anekdoten geht in Wildlands auch auf. Aber wer Dialoge, Zwischensequenzen und irgendeine Form von Skript in sein Spiel packt, muss sich auch der klassischen Bewertung stellen. Nicht zuletzt Mafia 3 hat mit einer fast identischen Spielstruktur (Feindorganisation in der Open World zu Fall bringen) bewiesen, wie viel man mit cleverer Inszenierung und spannenden Charakteren bewirken kann. Wildlands macht das definitiv nicht. Sei's drum, dafür glänzt das Spiel in zwei Kategorien, in denen Mafia 3 weniger zu bieten hat.
Eine neue Open-World-Referenz
Nummer Eins (und Nummer Zwei wird ein bisschen auf sich warten lassen, also behaltet die bitte im Hinterkopf): die fantastische Spielwelt. Bolivien ist eine Augenweide! Man verliebt sich unweigerlich schon beim ersten Helikopter-Flug in die schiere Weite, in die abwechslungsreichen Terrains, in das Dickicht der Vegetation, das lebendige Treiben der kleinen Städte. Kurzum: Was Ubisoft hier in puncto Open World aus dem Boden stampft, verdient einfach Anerkennung. Zumindest im Hinblick auf die Gestaltung, die immense Größe und den technischen Bombast.
Rein spielerisch reiht sich die Erkundung dieser Welt recht nahtlos an das an, was man mittlerweile von Far Cry Primal, Assassin's Creed: Syndicate oder eben Mafia 3 kennt. Als knallharter Krieger erobert man gemeinsam mit drei (KI-)Kumpels Sektor für Sektor die Spielwelt, um am Ende den Oberschurken zu erledigen. Und um ein Gebiet abzuschließen, muss man wiederum eine Handvoll Story-Missionen erledigen, die man (wiederum) mit Nebenaufgaben freischaltet. Also ein Meer an Icons, das man abarbeitet.
Damit die Spielwelt zwischen den Mini-Map-Symbolen nicht zu leblos ausfällt, würzt Wildlands seine Gameplay-Mischung mit Sandbox-Gelegenheiten. Auf der Straße taucht ein Konvoi auf, den man erobern kann, spezielle Flugzeuge wollen geklaut werden, an anderer Stelle kommt es zum Gefecht zwischen Rebellen und Drogen-Gangstern.
Und Collectibles und sammelbare Upgrades gibt's natürlich auch, in Form von Story-Dokumenten, Ressourcen und Waffen(-Mods). Eine Menge zu erledigen also, der Umfang von Wildlands fällt gigantisch aus und beschäftigt theoretisch für Dutzende Spielstunden. Aber ob man auch durch die Bank motiviert bleibt, hängt natürlich von der wichtigsten Tugend eines Shooters ab: den Kämpfen.
Motiviert Wildlands?
Egal, ob ihr Nebenaufgaben, Story-Missionen oder Sandbox-Gelegenheiten angeht - in Wildlands ist die Zeit der Diplomatie pauschal vorbei. Mit Feinden setzt man sich nur auf zwei Arten auseinander: Entweder umschleicht man sie und klaut ihnen die Beute unterm Hintern weg. Oder (und das kommt häufiger vor) wir schießen sie über den Haufen. Gut so, Ghost Recon ist schließlich eine altbewährte Taktik-Shooter-Marke, da erwarten wir Blei in der Luft.
Beim Stichwort "Taktik" müssen wir aber reingrätschen. Wer dabei nämlich an die alten Wurzeln der Serie denkt, den kann man nur warnen: Dem Namen Ghost Recon wird Wildlands kaum noch gerecht - trotz einiger schöner Reminiszenzen an alte Teile wie dem Nachlade-Rädchen in der Bildschirmmitte.
Klar, auch das erste Ghost Recon war ohne verkopfte Planungsphase schon damals die action-lastigere Alternative zu Rainbow Six - aber im Herzen immer noch ein Taktik-Shooter. Das ist Wildlands an keiner Stelle. Dafür verzeihen die Gegner selbst auf höchstem Schwierigkeitsgrad zu viele Fehler, und außerdem führt spätestens die erste wilde Verfolgungsjagd im ratterndem Lamborghini mit Arcade-Fahrphysik weit weg von den einstigen Traditionen.
Das ist nicht mein Ghost Recon!
Serien-Fans dürfen also zurecht meckern, dass Ghost Recon Advanced Warfighter nach wie vor der letzte echte Taktik-Shooter der Reihe bleibt. Aber hey, wenn man diesen Anspruch hinten anstellt, dann machen die Ballereien trotzdem ordentlich Spaß. Das verdankt Wildlands vor allem der knackigen KI, die ab und an echt clevere Manöver ausführt. Zum einen schießt sie extrem scharf, zum anderen sucht sie dynamisch nach der Position des Spielers. Einfach auf dem Hügel "snipen" klappt also nicht.
Wer blind feuernd in eine Gegnerbasis rennt, überlebt ebenfalls keine drei Sekunden. Ja, Wildlands verzeiht mehr als die alten Serienteile, aber lange nicht so viel wie etwa ein Just Cause 3. Als Spieler wird man folglich ab der ersten Mission motiviert, verschiedene Waffen wie Sniper Rifle, LMG und Maschinenpistole samt Schalldämpfer clever einzusetzen und die Freiheit der Open World zu nutzen, um den perfekten Einstiegspunkt ins Feindgelände zu wählen. Ein bisschen Taktik steckt also schon drin.
Dabei lässt das Spiel uns beim Zielen über Kimme und Korn sogar die Wahl zwischen Third-Person- und Ego-Ansicht. Sehr schön. Das wahre Potenzial dieser vielen Möglichkeiten entfaltet sich aber erst im Koop. Und da sind wir tatsächlich bei Nummer Zwei der Glanzlichter von Wildlands: dem gemeinsamen Spiel mit Freunden.
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