Bevor Microsoft die Bewegungssteuerungsbombe platzen lässt, geben sich die Stars bei der Pressekonferenz am Vorabend der E3-Messe 2009 die Klinke in die Hand: Paul McCartney und Ringo Starr klopfen ein paar lockere Sprüche über The Beatles: Rock Band, Tony Hawk präsentiert einen absurden Skateboard-Controller und Hideo Kojima kündigt das von Platinum Games entwickelte Schnetzelspiel Metal Gear Rising: Revengeance an.
Dann aber enthüllt Xbox-Manager Don Mattrick unter dem Namen »Project Natal« eine neue Xbox 360-Peripherie und bittet keinen geringeren als Steven Spielberg als Fürsprecher auf die Xbox-grüne Bühne: »Es geht Microsoft nicht um die Neuerfindung des Rads. Es geht um den kompletten Verzicht auf das Rad«, gibt sich der Filmemacher begeistert.
Wie es sich ohne Rad fährt, dürfen Journalisten an den folgenden Messetagen hinter verschlossenen Türen erleben. Wie schon auf der Pressekonferenz führt der Project Natal-Kreativkopf Kudo Tsunoda zunächst die 3D-Ballspieldemo Ricochet vor.
Anschließend können die Anwesenden selbst den Hampelmann mimen, bevor sie eine controllerlose Version des Arcade-Rasers Burnout Paradise ausprobieren. Die Gestensteuerung des Fahrzeugs klappt überraschend gut: Die Hände greifen ein exakt funktionierendes Phantomlenkrad, der rechte Fuß wird leicht nach vorne und hinten bewegt, um wohl dosiert Gas zu geben bzw. zu bremsen.
Innovative Infrarot-Fernbedienung
Die Funktionsweise von Project Natal lässt sich über einen zweiten Monitor erahnen, auf dem die mit kleinen Pixelvierecken überzogene Silhouette des Spielers zu erkennen ist. Die Kamerahardware projiziert ein für das Auge unsichtbares Infrarotmuster in den Raum, das von einem Sensor wahrgenommen wird.
Ein Computer (der in der finalen Peripherie durch einen Prozessor ersetzt werden soll) bestimmt diverse Körperpunkte, deren Entfernung und Lage zueinander in Echtzeit bestimmt bzw. berechnet werden. Hierdurch lassen sich die Bewegungen des Spielers relativ genau wahrnehmen und in Datenform an die Spielesoftware weitergeben.
Die Sensorleiste, die ein gutes Jahr später bei einem überkandidelten Event (für dessen künstlerische Gestaltung die kanadischen Traumtänzer vom Cirque du Soleil zuständig sind) in ihrer finalen Version und unter dem Namen Kinect vorgestellt wird, soll aber nicht nur Gesten, sondern dank der Integration einer VGA-Kamera und mehrerer Mikrofone auch Gesichter und Stimmen erkennen.
Auf der Pressekonferenz 2009 werden die sich eröffnenden Möglichkeiten durch den Berufsvisionär und frischgebackenen Kreativ-Chef der europäischen Microsoft Game Studios Peter Molyneux vorgeführt.
Er zeigt ein Video, das bei seinen Lionhead Studios entstanden ist: In diesem interagiert der virtuelle Junge Milo dank Kinect mit einer realen Frau vor dem Bildschirm, erkennt ihre Emotionen anhand Stimme und Mimik und nimmt sogar eine von ihr angefertigte Zeichnung mit in seine digitale Idylle.
Mit Visionen gegen Wii
Auch wenn das Gezeigte reichlich offensichtlich nicht wirklich interaktiv und nur eine Tech-Demo ist, sorgen Molyneux' überschwängliche Art und seine bedeutungsschwangeren Worte von der Zukunft des Videospielens dafür, dass Project Milo als künftiges Kinect-Highlight gehandelt wird.
Aus der verheißungsvollen Grenzüberschreitung zwischen Realität und Virtualität wird nichts - es ist nicht mal sicher, ob jemals ein Spiel angedacht war (in den Folgejahren liefern Microsoft-Verantwortliche hierzu gegensätzliche Aussagen).
Restbestände der Milo-Mühen fließen letztlich in das mäßig spannende, Ende 2012 erscheinende Kinect-Abenteuer Fable: The Journey ein.
Kinect ist von Beginn an als Microsofts Antwort auf den ebenso überragenden wie überraschenden Erfolg von Nintendos Wii-Konsole und zur Erschließung neuer Casual-Zielgruppen gedacht. Mitte 2007 streckt Don Mattrick erste Fühler in Richtung neue Steuertechnologien aus, ab 2008 beginnt eine Microsoft-interne Gruppe rund um den Software-Ingenieur Alex Kipman mit der Forschungsarbeit.
Kipman stammt aus der brasilianischen Stadt Natal, die dem Projekt seinen Namen gibt. Man holt die israelische Firma PrimeSense mit ins Boot, von der die Infrarottechnik kommt, und natürlich Kudo Tsunoda, der Anfang 2008 von Electronic Arts (wo er mehrere Fight-Night-Box-Spiele produziert hatte) zu Microsoft gewechselt war.
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