Gescheiterte Hardware: Kinect - Mangelnde Körperbeherrschung

Microsofts Bewegungssteuerung Kinect überrascht mit einfallsreicher Technik. Abseits von Sport-, Musik- und Party-Games fehlen aber bis heute die Ideen für einen lohnenden Einsatz.

Xbox One: Besser ohne Kinect? - Streitgespräch mit Markus Schwerdtel und Heiko Klinge Video starten 10:57 Xbox One: Besser ohne Kinect? - Streitgespräch mit Markus Schwerdtel und Heiko Klinge

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Bevor Microsoft die Bewegungssteuerungsbombe platzen lässt, geben sich die Stars bei der Pressekonferenz am Vorabend der E3-Messe 2009 die Klinke in die Hand: Paul McCartney und Ringo Starr klopfen ein paar lockere Sprüche über The Beatles: Rock Band, Tony Hawk präsentiert einen absurden Skateboard-Controller und Hideo Kojima kündigt das von Platinum Games entwickelte Schnetzelspiel Metal Gear Rising: Revengeance an.

Dann aber enthüllt Xbox-Manager Don Mattrick unter dem Namen »Project Natal« eine neue Xbox 360-Peripherie und bittet keinen geringeren als Steven Spielberg als Fürsprecher auf die Xbox-grüne Bühne: »Es geht Microsoft nicht um die Neuerfindung des Rads. Es geht um den kompletten Verzicht auf das Rad«, gibt sich der Filmemacher begeistert.

Wie es sich ohne Rad fährt, dürfen Journalisten an den folgenden Messetagen hinter verschlossenen Türen erleben. Wie schon auf der Pressekonferenz führt der Project Natal-Kreativkopf Kudo Tsunoda zunächst die 3D-Ballspieldemo Ricochet vor.

Anschließend können die Anwesenden selbst den Hampelmann mimen, bevor sie eine controllerlose Version des Arcade-Rasers Burnout Paradise ausprobieren. Die Gestensteuerung des Fahrzeugs klappt überraschend gut: Die Hände greifen ein exakt funktionierendes Phantomlenkrad, der rechte Fuß wird leicht nach vorne und hinten bewegt, um wohl dosiert Gas zu geben bzw. zu bremsen.

Kudo Tsunoda ist Kinect-Kreativchef und Microsofts Sprachrohr, wenn es um die Bewegungssteuerung geht. Auf der E3 2009 demonstriert er die Hardware zum ersten Mal. Kudo Tsunoda ist Kinect-Kreativchef und Microsofts Sprachrohr, wenn es um die Bewegungssteuerung geht. Auf der E3 2009 demonstriert er die Hardware zum ersten Mal.

Innovative Infrarot-Fernbedienung

Die Funktionsweise von Project Natal lässt sich über einen zweiten Monitor erahnen, auf dem die mit kleinen Pixelvierecken überzogene Silhouette des Spielers zu erkennen ist. Die Kamerahardware projiziert ein für das Auge unsichtbares Infrarotmuster in den Raum, das von einem Sensor wahrgenommen wird.

Ein Computer (der in der finalen Peripherie durch einen Prozessor ersetzt werden soll) bestimmt diverse Körperpunkte, deren Entfernung und Lage zueinander in Echtzeit bestimmt bzw. berechnet werden. Hierdurch lassen sich die Bewegungen des Spielers relativ genau wahrnehmen und in Datenform an die Spielesoftware weitergeben.

Obwohl bis zum Start von Kinect noch rund 1,5 Jahre vergehen, ist das Design des auf der E3 2009 präsentierten Prototyps bereits nahe am Endprodukt. Obwohl bis zum Start von Kinect noch rund 1,5 Jahre vergehen, ist das Design des auf der E3 2009 präsentierten Prototyps bereits nahe am Endprodukt.

Die Sensorleiste, die ein gutes Jahr später bei einem überkandidelten Event (für dessen künstlerische Gestaltung die kanadischen Traumtänzer vom Cirque du Soleil zuständig sind) in ihrer finalen Version und unter dem Namen Kinect vorgestellt wird, soll aber nicht nur Gesten, sondern dank der Integration einer VGA-Kamera und mehrerer Mikrofone auch Gesichter und Stimmen erkennen.

Auf der Pressekonferenz 2009 werden die sich eröffnenden Möglichkeiten durch den Berufsvisionär und frischgebackenen Kreativ-Chef der europäischen Microsoft Game Studios Peter Molyneux vorgeführt.

Er zeigt ein Video, das bei seinen Lionhead Studios entstanden ist: In diesem interagiert der virtuelle Junge Milo dank Kinect mit einer realen Frau vor dem Bildschirm, erkennt ihre Emotionen anhand Stimme und Mimik und nimmt sogar eine von ihr angefertigte Zeichnung mit in seine digitale Idylle.

Bei Lionhead entsteht das Project Milo, bei dem ein virtueller Junge die Stimmung des Nutzers via Kinect-Kamera erkennen soll. Bei Lionhead entsteht das Project Milo, bei dem ein virtueller Junge die Stimmung des Nutzers via Kinect-Kamera erkennen soll.

Mit Visionen gegen Wii

Auch wenn das Gezeigte reichlich offensichtlich nicht wirklich interaktiv und nur eine Tech-Demo ist, sorgen Molyneux' überschwängliche Art und seine bedeutungsschwangeren Worte von der Zukunft des Videospielens dafür, dass Project Milo als künftiges Kinect-Highlight gehandelt wird.

Aus der verheißungsvollen Grenzüberschreitung zwischen Realität und Virtualität wird nichts - es ist nicht mal sicher, ob jemals ein Spiel angedacht war (in den Folgejahren liefern Microsoft-Verantwortliche hierzu gegensätzliche Aussagen).

Restbestände der Milo-Mühen fließen letztlich in das mäßig spannende, Ende 2012 erscheinende Kinect-Abenteuer Fable: The Journey ein.

2012 erscheint doch noch ein Kinect-Titel von Lionhead: das Action-Rail-Rollenspiel Fable The Journey. 2012 erscheint doch noch ein Kinect-Titel von Lionhead: das Action-Rail-Rollenspiel Fable The Journey.

Kinect ist von Beginn an als Microsofts Antwort auf den ebenso überragenden wie überraschenden Erfolg von Nintendos Wii-Konsole und zur Erschließung neuer Casual-Zielgruppen gedacht. Mitte 2007 streckt Don Mattrick erste Fühler in Richtung neue Steuertechnologien aus, ab 2008 beginnt eine Microsoft-interne Gruppe rund um den Software-Ingenieur Alex Kipman mit der Forschungsarbeit.

Kipman stammt aus der brasilianischen Stadt Natal, die dem Projekt seinen Namen gibt. Man holt die israelische Firma PrimeSense mit ins Boot, von der die Infrarottechnik kommt, und natürlich Kudo Tsunoda, der Anfang 2008 von Electronic Arts (wo er mehrere Fight-Night-Box-Spiele produziert hatte) zu Microsoft gewechselt war.

Kinect Toptitel: The Gunstringer Ein haarsträubender Railshooter im Wilden Westen: In The Gunstringer von Twisted Pixel (bekannt durch den XBLA-Titel 'Splosion Man) läuft der Spieler als untote Cowboy-Marionette durch bunte Western-Kulissen, um Rache an seinen ebenso bizarren wie betrügerischen Bandenkollegen zu nehmen. Die Steuerung ist simpel und funktioniert hervorragend: Mit dem linken Arm wird der von selbst laufende Protagonist nach links und rechts bewegt und zum Hüpfen animiert, die rechte Hand markiert Ziele, die mit einer raschen Armbewegung abgeknallt werden.

Dance Central 3 Harmonix haben in der Vergangenheit oft genug Taktgefühl bewiesen: Nicht nur die Musikmarken Amplitude, Guitar Hero und Rock Band wurden von dem in Cambridge ansässigen Studio aus der Taufe gehoben, mit der Dance Central-Serie sind die Ostküsten-Amerikaner auch für drei Tanzspiele verantwortlich, die in puncto Songauswahl, Design und Bedienbarkeit ihresgleichen suchen. Die Bewegungssteuerung via Kinect funktioniert bei allen Episoden hervorragend, Teil 3 ist dank Story-Modus und der Vielfalt der Musikgenres die Krönung der Reihe.

Child of Eden Die simple Mechanik von Railshootern – also Spielen, welche die Bewegungsrichtung des ballernden Alter Egos durch eine Szenerie vorgeben – eignet sich perfekt für eine Steuerung durch bloße Armbewegungen. Und da der Japaner Tetsuya Mizuguchi seit dem Dreamcast- und PS2-Titel Rez als Großmeister des Rail-Shooter-Genres gilt, wundert es wenig, dass sein Werk Child of Eden einer der herausragenden Titel für Kinect ist. Das Rhythmusspiel begeistert mit grandioser Optik und Akustik, ist ein wunderbarer Farb- und Klang-Trip, den man am und mit eigenem Leib erfahren kann.

Es war einmal ein Monster Warners Sesamstraße-Spiel ist ziemlich ungewöhnlich. Obwohl es nämlich von Tim Schafer und dessen Studio Double Fine entwickelt wurde, deren Spezialität schräge Action-Abenteuer sind, ist es dank seiner Thematik und des niedrigen spielerischen Anspruchs ein reiner Kindertitel. Und obwohl es ein reiner Kindertitel ist, handelt es sich bei Es war einmal ein Monster doch um ein Vorzeige-Kinect-Spiel. Abgesehen nämlich vom zuckersüßen Design und der freundlichen Atmosphäre freuen sich kleine Spieler über allerlei witzige Mini-Games, die so leicht zu erlernen und handzuhaben sind, dass (trotz Kinect) keine Sekunde Frust aufkommt.

Fantasia: Music Evolved Auch auf der Xbox One zeigen Harmonix, wie der Einsatz von Kinect für ein denkwürdiges, befriedigendes Spielerlebnis sorgen kann. Auf Basis von Disneys Fantasia-Trickfilmen inszenieren die Musikprofis ein typisches Rhythmusspiel im Geiste von Guitar Hero & Co., nur dass nicht Knöpfe gedrückt, sondern Arme bewegt werden, wenn über den Bildschirm wandernde Symbole bestimmte Markierungen erreichen. Fantasia: Music Evolved begeistert mit einer traumhaften Gestaltung, einer vielfältigen Songmischung mit freispielbaren Remixen sowie einer perfekt funktionierenden Kinect-Integration.

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